Geliebte Betrügerin
wer ist denn dieser reizende junge Mann?«, fragte Miss Lockhart mit anerkennendem, durchdringenden Tonfall.
»Mein Cousin, Mr. Lewis Athersmith. Lewis, das ist … die Gouvernante.«
»Die Gouvernante?« Lewis war verblüfft.
»Die Gouvernante.« Sollte Lewis doch denken, was er wollte.
Aber die Gouvernante zeigte mit ihrem Schirm auf Kerrich wie eine Lehrerin, die einen Schüler ins Gebet nimmt. »Lord Kerrich, wie lautet mein Name?«
»Wie?« Er starrte sie an. Licht und Schatten der Eingangshalle schienen ihr Gesicht zu zerteilen. Sie wirkte beinahe bedrohlich, und ihre Züge zeigten zu Kerrichs Erstaunen einen Anflug von Schönheit. Er sah genauer hin. Vergangener Schönheit. »Sie sind Miss Lockhart. Warum?«
Sie sprach ganz deutlich und herrschte ihn an: »Vergessen Sie niemals wieder meinen Namen.«
Er sah ihr verblüfft zu, wie sie erneut vor Lewis knickste.
Lewis lächelte und verbeugte sich nochmals mit ein bisschen zu viel Enthusiasmus. »Ich freue mich darauf, Sie recht bald wieder zu sehen, Miss Lockhart. jede Frau, die es wagt, meinen Cousin zu tadeln, muss eine ganz formidable Dame sein.«
Miss Lockhart strahlte, anders konnte man es nicht bezeichnen. Wäre Kerrichs Leben kein solches Durcheinander gewesen, er hätte das Weib entlassen, bevor diese Farce noch richtig begonnen hatte. Aber er wusste genau, dass es so gut wie unmöglich war, eine andere Gouvernante mit angemessenem Alter und vergleichbaren Grundsätzen zu finden. Also biss er die Zähne zusammen und ließ Miss Lockhart seinen Cousin gutheißen. Wie es alle in Kerrichs Familie taten; sogar Kerrichs geliebter Großpapa hatte ihm Lewis als leuchtendes Beispiel vorgehalten, dem er folgen sollte.
»Ich lebe ab jetzt hier im Haus, Mr. Athersmith, und es wäre mir ein Vergnügen, unsere Bekanntschaft zu vertiefen.« Sie wandte sich an den Butler. »Mr. Moulton, ich wünsche die Haushälterin zu sprechen. Und zwar umgehend.« Sie folgte dem Butler auf dem Fuß.
»Eine seltsame Person.« Lewis wandte seine Aufmerksamkeit Kerrich zu. »Aber nicht seltsamer als du es bist, Cousin. Eine Gouvernante?«
Kerrich übte die Geschichte ein, die er sich zusammengereimt hatte, um seine unvermittelte Nächstenliebe weniger verdächtig erscheinen zu lassen: »Ich bin dabei, ein Findelkind zu adoptieren. Einen Burschen, der mir auf der Straße über den Weg gelaufen ist.«
Lewis starrte ihn an, als traue er seinen Ohren nicht.
»Der Mut des jungen und seine Mannhaftigkeit haben mich ganz gefangen genommen.«
»Mut und Mannhaftigkeit.« Lewis senkte mit missbilligendem Lächeln den Kopf. »Natürlich.«
Kerrich begriff, dass er bereits einen falschen Schritt getan hatte. Seit ihrer Kindheit war er der Wagemutige gewesen, der Charmante. Der, der das Geld erben würde, die Ländereien und den Titel. Lewis war der Gelehrsame gewesen. Der, der mit Auszeichnung in Oxford abschloss. Der, dem jeder eine leuchtende Zukunft prophezeite.
Doch auf was für ein höllisches Unternehmen hatte Lewis sich jetzt eingelassen? Und warum? Nicht dass das eine Rolle gespielt hätte. Als Oberhaupt der Familie konnte Kerrich es so oder so nicht zulassen, dass der Name der Familie Mathewes und ihr guter Ruf in den Schmutz gezogen wurden. Aber er war dennoch entschlossen herauszufinden, warum.
Mit einer Freundlichkeit, die im krassen Gegensatz zu seinen wahren Gefühlen für seinen schafsgesichtigen Verwandten stand, geleitete er Lewis zu der bequemen Sitzgruppe am Kamin. »Nimm Platz, Lewis.«
Lewis sank langsam in einen der Stühle, die blauen Augen auf der Hut. Und schuldbewusst. Verflucht! Warum war ihm das nicht schon früher aufgefallen?
Er beantwortete sich die Frage selbst. Weil er Lewis seit Monaten nicht mehr gesehen hatte. Der Himmel wusste, dass er ihn nicht vermisst hatte, und es war ihm nie in den Sinn gekommen, Lewis' Aktivitäten im Auge zu behalten. In Gottes Namen, Lewis war der Sohn eines Vikars! Er sollte ehrenhaft in Diensten Lord Swearns stehen, um dessen Sohn auf Oxford vorzubereiten und nicht in kriminelle Machenschaften verstrickt sein!
Er wollte Lewis nur noch durchschütteln, bis er wieder klarer sah und ihn dann auf den Familiensitz nach Norfolk schicken, damit Großpapa ihn weiter schüttelte, bis dieser Wahnsinn vorüber war. Aber jemand musste die Einzelheiten seiner Vergehen herausbekommen, die Namen der Komplizen und vor allem, wer der Kopf des Ganzen war. Und dieser jemand war Kerrich. Also ließ er sich in den Stuhl gegenüber
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