Geliebte Betrügerin
Worauf wartest du noch?«
»Ja, ja, ich muss erst …« Beichten tat der Seele gut, sagte er sich. »Großpapa, ich war der Vollmond in jener Nebelnacht.« Er rechnete fest mit Großvaters Erstaunen.
Stattdessen sagte Lord Reynard: »Glaubst du, ich hätte dich nicht erkannt mit dem Mathewe'schen Familienmuster als Futterstoff im Jacket? Ich trage es selber seit neunundachtzig Jahren.«
»Vierundachtzig«, korrigierte ihn Kerrich automatisch. Sein Großvater wusste es? Er wusste es?
Kerrich lächelte, kicherte, brüllte vor Lachen. All die Jahre hatte Kerrich so viel Sorgfalt darauf verwandt, es seinem Großvater zu verheimlichen, und der hatte es die ganze Zeit gewusst?
Die Diener starrten ihn an, seine Freunde scharten sich um ihn und drängten ihn, ihnen auch diesen Witz zu erzählen und auch die anderen Rennbahngäste ließen sich von seiner Fröhlichkeit anstecken.
Als Kerrich sich so weit gefangen hatte, dass er wieder sprechen konnte, sagte er zu den Umstehenden: »Lassen Sie sich die Geschichte von Lord Reynard erzählen. Ich muss gehen und die Träume meiner Liebsten erfüllen.«
Kapitel 31
Hannah eilte ins Studierzimmer. Ihre Stirn kräuselte sich vor Verwirrung. Ein Gentleman sei gekommen, hatte Cusheon gesagt und habe nach ihr gefragt. Der Gentleman habe sich geweigert, seinen Namen zu nennen. Das Grinsen des Butlers verriet, dass er sehr wohl wusste, um wen es sich handelte, aber er schüttelte den Kopf und verweigerte die Antwort. »Gehen Sie nach unten, Miss Setterington«, sagte er, bevor er in die Küche huschte. »Sie werden erfreut sein.«
Pamela war gerade damit beschäftigt, den Kursus »Aufrechterhaltung guter Anstandsformen für Gouvernanten« zu unterrichten. Hannah wollte sie nicht stören. Hannah behelligte Pamela nur in Ausnahmefällen. Ihre Freundin hatte sich von der Schussverletzung nicht so gut erholt, wie Hannah gehofft hatte. Sie vermutete, Pamelas Problem war weniger die schleppende Rekonvaleszenz als eine Schwermut der Seele. Nicht einmal Hannahs lebhafte Ausführungen über Ruhm und Ehre der Vornehmen Akademie der Gouvernanten heiterten sie auf. Und dass ausgerechnet Pamela am Geldverdienen keinen Geschmack fand, diagnostizierte Hannah als ernstes Problem. Ein Männerproblem.
Sie hatte Beth raffiniert über Pamelas Erfahrungen an der Seite dieses unverschämt gut aussehenden Lord Kerrich ausgefragt. Und Beth war ihr ebenso raffiniert ausgewichen. Unglücklicherweise war das Kind genauso untröstlich wie Pamela. Hannah blieb nichts anderes übrig als abzuwarten, bis eine der beiden sich offenbarte.
Und sie wartete jetzt schon seit über einem Monat.
Die Tür zum Studierzimmer stand offen. Sie rauschte herein – und die Tür schloss sich hinter ihr. Als sie sich umdrehte, standen Lord Kerrich und Beth vor ihr. Kerrich hielt mit der Hand die Tür zu, und Beth kicherte.
Lord Kerrich verneigte sich. »Miss Setterington, ich hoffe, Sie vergeben mir mein unkonventionelles Eindringen, aber ich muss Sie um einen Gefallen bitten.« Sein überhebliches Auftreten fiel ihr auf die Nerven. »Und der wäre, Mylord?«
Also weihte er sie ein.
»Ich verstehe nicht, warum du nicht mit Beth nach Brookford House fahren kannst.« Pamela saß auf dem Bett und sah Hannah beim Packen zu. »Ich fühle mich noch zu schwach wegen der Verletzung.«
Hannah überhörte sie einfach.
»Und ich habe hier so viel zu tun.«
Hannah hielt ein schlichtes Paar weißer Unterhosen in die Höhe und betrachtete sie skeptisch. »Eine kleine Spitzenbordüre würde nicht schaden.«
»Wozu?«
»Ich finde solchen Firlefanz aufmunternd.« Hannah faltete die Unterhose und legte sie in die Reisetasche. »Du könntest ein wenig Aufmunterung gebrauchen.«
»Bin ich dir zu verdrossen?« Wollte Hannah sie auf diese grauenvolle Reise schicken, nur damit sie Kerrich begegnete, seine Stimme hörte und wieder munterer wurde? Wenn es das war, musste sie sich ändern. »Gut, dass du es mir sagst. Ich bin nur müde. Das ist alles. Ich werde mir Mühe geben, vergnügter zu sein.«
Hannah packte die Unterröcke ein, die sie für reisetauglich hielt und nahm Pamela bei den Händen. »Liebes, ich will nicht sagen, dass ich dich hier nicht brauche. Wir mussten schließlich zu dritt anpacken – Charlotte, du und ich – um die ›Vornehme Akademie der Gouvernanten‹ zu gründen. Ohne unseren Einsatz, unser Wissen und unser gemeinsames Einkommen hätten wir es nie in so kurzer Zeit so weit gebracht. Aber wir haben erreicht,
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