Geliebte Betrügerin
»Dass ich zusammen mit Beth in den Handarbeitsunterricht gehe?«
»Manchen Männern täte eine Lektion in Geduld und Achtsamkeit, wie man sie in der Handarbeitsstunde bekommt, sehr gut.«
»Aber zu denen gehöre ich nicht.«
Kerrich erhob sich langsam, bis sich Miss Lockharts Nasenspitze schließlich auf Höhe seines Schlüsselbeins befand, und spähte auf sie herab.
Beide trugen sie so unsäglich arrogante Mienen zur Schau, dass Beth sich das Lachen verkneifen musste.
»Ich gehe mit dem Kind zum Reiten in den Park.« Er streckte Beth die Hand hin und die griff ohne zu zögern zu. »Falls Sie mitkommen wollen, Miss Lockhart, ziehen Sie besser Reitkleidung an.«
Kapitel 9
Ein Stallbursche führte Beths Stute am Zügel. Lord Kerrich folgte auf einem kastanienbraunen Wallach und rief Beth aufmunternde Kommentare zu. Pamela war das Schlusslicht, ihrer Ansicht nach auch im übertragenen Sinne. Sie hätte erfreut sein sollen, dass Beth und Lord Kerrich etwas gefunden hatten, das sie beide gleichermaßen begeisterte. Aber eine Stunde lang im Stall jedem Pferd einzeln vorgestellt zu werden, war nicht das, was sie für Beths erste Lektion im Sinn gehabt hatte. Und dann auf diesem alten Gaul, der kaum noch trotten konnte, durch den Park zu reiten! Das war nicht gerecht!
Fairerweise musste Pamela zugeben, dass ein Teil ihres Missmuts auf eine Reihe von Blessuren zurückzuführen war, die sie sich gestern bei der Badeschlacht mit Beth zugezogen hatte. Und in diesem Augenblick, während ihr Pferd einem Pfad folgte, der von leuchtenden gelben Blüten und rosa Nelken gesäumt war, spürte sie jeden einzelnen Kratzer.
Pamela betrachtete argwöhnisch Kerrich, der gerade neben Beth aufschloss. Wie sie vermutet hatte, gestattete er dem Stallburschen, Beth die Zügel zu geben. »Nein«, schrie Pamela. »Das ist ihr erster Ausritt!«
Aber die beiden taten so, als sei Pamela zu weit weg, als dass man sie hören konnte. Und als sie den Gaul in die Seiten trat, um ihn zum Trab zu bewegen, erntete sie lediglich ein wütendes Schnauben. Miss Pamela Lockhart Ripley musste zurückbleiben, weil sie auf einem alten Gaul saß!
Als sei sie selber ein alter Gaul!
Pamela sank in den Sattel zurück und beschloss, sobald sie zu Hause waren mit Kerrich über diese verabscheuungswürdige Missachtung der Sicherheit eines Kindes zu reden. Falls Beth nicht schon vorher vom Pferd fiel. Allerdings ließ Kerrich sie Schritt reiten, blieb selber dicht an ihrer einen Seite und ließ den Stallburschen auf der anderen Seite gehen. Dann verschwanden sie um eine Biegung.
Ein Teil ihrer Gereiztheit war die pure Erschöpfung. Sie hatte letzte Nacht nicht gut geschlafen. Obwohl ihr Bett, ganz wie Kerrich es ihr versprochen hatte, bequem war, das Zimmer gute Lüftung hatte und direkt neben dem Kinderzimmer lag. Man hatte ihr jedes Privileg eingeräumt. Sosehr sie es auch hasste, es sich einzugestehen, aber Hannah hatte Recht gehabt. Pamela hatte Gewissensbisse. Sie hatte Gewissensbisse und verzweifelte Angst, dass irgendwer ihr Versteckspiel durchschauen würde. Nicht dass es sie gestört hätte, Kerrich zum Narren zu halten! Nein, der großspurige Junge war zu einem anmaßenden Mann herangewachsen. Aber Lord Reynard war eine ganz andere Geschichte.
Sie zog die Hutbänder unterm Kinn fest und hoffte, dass der Reithut, den Moulton für sie aufgetrieben hatte, ihr Gesicht tief genug in den Schatten tauchte, dass die Linie, wo der blasse Puder und das rote Rouge auf die natürliche Gesichtsfarbe trafen, nicht zu sehen war. Als sie heute Morgen ihre Maskerade aufgetragen hatte, hatte sie nicht damit gerechnet, im grellen Sonnenschein ausreiten zu müssen. Und ihrer Schuldgefühle wegen ertrug sie es kaum, sich selbst im Spiegel zu betrachten.
Ja, Lord Reynard ließ sie sich schuldig fühlen. Er hatte sie interessiert angesehen, und Pamela hätte schwören können, dass er kurz davor war, sich an sie zu erinnern. Dass er sich ihrer als jung und hübsch erinnerte, nicht als die ältliche Jungfer, die sein Enkel so verabscheute. Aber er hatte sich nicht erinnert. Pamela war vor Erleichterung fast in Ohnmacht gefallen. Und fühlte sich schuldig – da war dieses Wort schon wieder! –, dass sie einen Mann seines Alters hinters Licht führte. Dann hatte sie angefangen, sich darüber Sorgen zu machen, ob er sie nicht doch erkannt und aus irgendeinem schändlichen Grund den Mund gehalten hatte. Aber was sollte ein Mann seines Alters für Gründe haben, ihr diese
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