Geliebte Betrügerin
legte sie ein erstaunliche Tirade hin. »Sie haben ganz Recht, Mylord. Sie könnte sich verletzen. Irgendwie. Sie könnte Pflege brauchen. Und falls Sie sich, in all Ihrer Großzügigkeit, dazu entschließen sollten, Beth gerne zu haben, könnte ihr Leiden Ihnen wehtun. Also werde ich zu Lord Reynard gehen und ihm sagen, dass Sie Ihr Vorhaben aufgeben.«
Lord Kerrich drohte ihr mit dem Finger. »Unterstehen Sie sich!«
Miss Lockhart schniefte. »Und soweit ich das verstanden habe, wäre dann auch mit Ihrer Majestät der Königin etwas zu klären.«
»Miss Lockhart, das geht zu weit.«
»Ich wollte Sie lediglich daran erinnern, was auf dem Spiel steht.«
»Ich weiß, was auf dem Spiel steht.«
»Dann halten Sie Kurs, Mylord, und Sie werden Erfolg haben. Aber wenn Sie jetzt wanken, sind Sie ein Feigling.«
»Niemand nennt mich einen Feigling!«
»Aber ›irrational‹ sollte man Sie vielleicht nennen, falls Sie wirklich glauben, dass ein Junge weniger Gefahr läuft, sich und damit Ihnen – wehzutun.«
Sie führten sich auf wie zwei Burschen aus dem Waisenhaus. Und genau wie sie es auch im Waisenhaus getan hatte, probierte es Beth mit einem Ablenkungsmanöver. Sie zupfte Kerrich am Saum des feinen, schwarzen Gehrocks. »Wenn mein Papa mich auf die Rennbahn mitgenommen hat, hab ich immer die Pferde angefeuert.«
Lord Kerrich hörte auf zu schreien und mit dem Finger zu drohen. Er schaute einigermaßen belustigt zu Beth hinab. »Dein Vater hat dich zum Pferderennen mitgenommen?«
Sie nickte.
Miss Lockhart sagte: »Oh, nein.«
Lord Kerrich ignorierte sie und ging neben Beth in die Hocke. »Und haben dir die Rennen gefallen?«, fragte er mit freundlicher, einschmeichelnder Stimme.
»Ich liebe Pferderennen.« Beth musste sich nicht verstellen. Die Begeisterung ging mit ihr durch. »Der Geruch vom Schmutz und vom Stroh und wie die Leute auf und ab gesprungen sind. Und wie sie geschrien haben und manchmal hat mich ein netter Pferdebesitzer sein Pferd streicheln lassen, wenn ich gefragt hab und -«
»Sie können das Kind nicht zum Pferderennen mitnehmen«, sagte Miss Lockhart.
Kerrich hockte sich auf die Fersen, stützte das Kinn in die Hand und begutachtete Beth durchaus nicht unfreundlich. Als interessiere er sich für sie. Er seufzte. »Nein, vermutlich nicht.«
»Aber -«, sagte Beth.
»Nein.« Miss Lockhart blieb standhaft.
Beth sank in ihrem Stuhl zusammen. Das war nicht fair. Papa hatte sie mitgenommen. Warum durfte sie jetzt nicht mit? Mit Lord Kerrich. Dann wäre sie wie er und das würde sie Miss Lockhart später auch erklären.
»Und wo seid ihr hingegangen?«, fragte Lord Kerrich.
»Ins Hippodrome.«
»Das ist keine gute Rennbahn«, sagte er. »Der Lehm ist so schwer, dass die guten Jockeys sich weigern, dort zu reiten.«
Beth trat gegen das Tischbein.
»Und es liegt weit draußen, am Rande eines Armenviertels. Du hast sicher die Gauner und die Taschendiebe gesehen, die dort herumlungern.«
»Ja.« Sie schaute ihn verächtlich an. »Aber Papa und ich hätten wohl nicht nach Ascot gehen können, oder?«
»Wohl nicht.«
Ihr kam eine Idee und sie setzte sich wieder auf. »Haben Sie ein Pferd, Mylord?«
Kerrich schüttelte den Kopf. »Nein. jedenfalls kein Rennpferd.«
Miss Lockhart schob sich die Augengläser zurecht. »Gott sei Dank.«
»Aber ein Pferd haben Sie? Ein richtiges Pferd? Ist es groß?« Beth strahlte vor Freude. »Ist es ein Brauner? Ich finde, die sind am schönsten, aber Papa hatte lieber Apfelschimmel.«
»Ich habe einen Braunen.« Kerrich wirkte immer mehr wie der gute Geist aus einem Märchen. Er lachte Beth an. »Und einen Apfelschimmel. Genau genommen habe ich von jedem ein ganzes Gespann.«
Vor lauter Freude vergaß Beth ganz, dass sie eigentlich Miss Lockhart zufrieden stellen wollte und sich mit Kerrich anfreunden, damit der sie adoptierte. Sie dachte nur noch an die Pferde, diese herrlichen Pferde. Aber es war fast zu schön, um wahr zu sein. »Sie würden mich nicht anschwindeln, oder?«, fragte sie argwöhnisch.
Kerrich warf den Kopf in den Nacken und lachte lauthals. Ein schallendes, fröhliches Lachen, in das Beth am liebsten eingestimmt hätte.
Aber Miss Lockhart nicht. Sie kam herbei, stellte sich neben sie beide und schaute wütend auf Kerrich herab, der zu ihren Füßen hockte. »Mylord, das hatte ich nicht im Sinn.«
»Was hatten Sie denn im Sinn, Miss Lockhart.« Er sprach so gedehnt, dass er sich fast wie dieser Besserwisser Chilton anhörte.
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