Geliebte der Nacht
warum er ausgewählt worden war.
Er war nicht das einzige Mitglied der Truppe, das rekrutiert worden war. Er wusste, dass es noch andere gab, auch wenn die Identitäten geheim gehalten wurden. Auf diese Art war es sicherer, sauberer. Er selbst konnte sich nicht erinnern, wie lange es her war, dass er zum ersten Mal seinen Meister getroffen hatte. Er wusste nur, dass er nun lebte, um zu dienen.
Mit dem Bericht in der Hand schlurfte der Büroangestellte den Gang hinunter, auf der Suche nach einem ruhigen Plätzchen. Im Pausenraum, der niemals leer war, gleichgültig, zu welcher Tageszeit, saßen einige Sekretärinnen und Carrigan, ein fetter, überlauter Polizist, der Ende der Woche in den Ruhestand ging. Er war damit beschäftigt, mit dem tollen Geschäft anzugeben, das er abgeschlossen hatte – eine Eigentumswohnung in Florida, am Arsch der Welt. Die Frauen ignorierten ihn so gut es ging. Sie aßen Geburtstagskuchen, der schon Tage hier stand, und spülten alles mit Diätcola herunter.
Der Büroangestellte strich sich mit den Fingern durch sein hellbraunes Haar und ging an der offenen Tür vorbei, auf die Toiletten am Ende des Ganges zu. Er hielt vor der Herrentoilette, die Hand auf dem zerbeulten Metallgriff, und sah sich beiläufig um. Als er niemanden erblickte, der ihn sehen konnte, lief er zur nächsten Tür weiter, dem hausmeisterlichen Abstellraum der Wache. Dieser sollte eigentlich immer verschlossen sein, war es aber selten. Es gab dort sowieso nicht vieles, das es wert gewesen wäre, gestohlen zu werden, wenn man nicht gerade ein Faible für industriegenormtes Toilettenpapier, Ammoniakreiniger und braune Papierhandtücher hatte.
Der Mann drehte den Knauf und drückte die alte Stahltür nach innen. Als er sich in dem dunklen Abstellraum befand, verschloss er die Tür von innen und nahm sein Mobiltelefon aus der vorderen Tasche seiner Khakihose. Er drückte die Kurzwahltaste und rief die einzige Nummer an, die in dem Prepaid-Karten-Handy, das man nicht orten konnte, eingespeichert war. Es klingelte zweimal, dann war ein ominöses Schweigen zu vernehmen, als die unverkennbare Anwesenheit seines Meisters am anderen Ende der Leitung drohend deutlich wurde.
„Sire“, hauchte der Büroangestellte, wobei er seine Stimme zu einem ehrfurchtsvollen Flüstern senkte. „Ich habe Informationen für Euch.“
Er sprach schnell und leise, gab sämtliche Details des Besuchs dieser Gabrielle Maxwell auf der Wache weiter, einschließlich der Einzelheiten ihrer Aussage über einen Mord im Stadtzentrum. Der Büroangestellte hörte ein Knurren und das leise Geräusch von Atemzügen im Lautsprecher seines Handys. Der andere nahm die Neuigkeiten stumm auf. Der Büroangestellte spürte Zorn in diesem langsamen, wortlosen Ausatmen, und ihm lief ein Schauder über den Rücken.
„Ich habe ihre persönlichen Daten für Euch aufgeführt, Sire – und zwar alle“, erklärte er. Dann las er im Schein des schwach leuchtenden Handydisplays Gabrielles Adresse vor, ihre nicht im Telefonbuch angegebene Telefonnummer und noch weitere Informationen – ganz der unterwürfige Lakai, erpicht darauf, seinen furchtbaren und mächtigen Meister zufriedenzustellen.
3
Zwei volle Tage verstrichen.
Gabrielle versuchte das Entsetzen über das, was sie in jener Nacht erlebt hatte, aus ihrem Gedächtnis zu verbannen. Was für eine Rolle spielte das überhaupt? Niemand hatte ihr geglaubt. Nicht die Polizei, die noch immer niemanden geschickt hatte, obwohl man es ihr versprochen hatte, und nicht einmal ihre Freunde.
Jamie und Megan, die miterlebt hatten, wie die Schlägertypen in der Lederkluft den Jungen belästigt hatten, erzählten, dass die Gruppe irgendwann im Lauf der Nacht ohne Zwischenfall den Club verlassen hatte. Kendra war zu beschäftigt mit Brent gewesen, dem Typen, den sie auf der Tanzfläche aufgelesen hatte, um irgendetwas um sich herum zu bemerken. Laut Aussage der Polizisten in der Polizeiwache hatten alle, die von den Streifenpolizisten im La Notte befragt worden waren, die gleiche Geschichte erzählt. Ein kurzes Handgemenge an der Bar, aber keine Berichte über eine Schlägerei im oder vor dem Club.
Niemand hatte den Kampf gesehen, den sie gemeldet hatte. Es hatte keine Einlieferungen in Krankenhäuser oder Leichenschauhäuser gegeben. Nicht einmal einen Schadensbericht des Taxifahrers, den sie in jener Nacht angehalten hatte.
Überhaupt nichts.
Wie konnte das sein? Hatte sie ernsthaft Wahnvorstellungen?
Es schien, als
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