Geliebte der Nacht
seine Verbände zu untersuchen. Als er sich bewegte, klaffte der obere Teil seines weißen Bademantels auf und enthüllte einen großen Teil seiner Brust und ein Stück seines Bauches. Die einzigartigen Male auf seiner Brust zeigten einen blassen Hennafarbton. Das war deutlich heller, als sie in der letzten Nacht gewesen waren. Nun sahen sie so bleich aus wie der Rest von ihm. Ausgetrocknet, beinahe farblos.
„Warum liegt ihr, Tegan und du, so miteinander im Zwist?“, fragte Gabrielle und beobachtete ihn genau, als sie die Frage stellte. Das Thema beschäftigte sie, seit Lucan den Namen des Kriegers erwähnt hatte. „Was ist zwischen euch vorgefallen?“
Zuerst hatte sie nicht den Eindruck, dass er antworten würde. Er untersuchte weiter seine Verletzungen und prüfte schweigend die Beugefähigkeit seiner Arme und Beine. Dann, als sie schon fast die Hoffnung aufgegeben hatte, noch eine Antwort zu erhalten, setzte er sich wieder aufs Bett, hob den Kopf und sagte: „Tegan wirft mir vor, ihm etwas weggenommen zu haben. Etwas, was ihm sehr viel bedeutete.“ Er blickte ihr nun gerade in die Augen. „Seine Stammesgefährtin starb. Durch meine Hand.“
„Großer Gott“, flüsterte sie. „Lucan … wie kam das?“
Er runzelte die Stirn und wandte seinen Blick wieder ab. „In den alten Zeiten waren die Dinge noch anders, damals, als Tegan und ich uns kennenlernten. Die meisten Krieger suchten sich keine Stammesgefährtin, weil die Gefahren zu groß waren. Damals hatte der Orden nur wenige Mitglieder, und es war schwierig, unsere Familien zu schützen, wenn der Kampf uns viele Kilometer von ihnen wegführte, oft monatelang.“
„Und was war mit den Dunklen Häfen? Hätten sie nicht Schutz geboten?“
„Davon gab es zu jener Zeit erst wenige. Und noch weniger, die das Risiko eingehen mochten, die Stammesgefährtin eines Kriegers aufzunehmen. Wir und die, die wir liebten, waren lebendige Zielscheiben für die Gräueltaten der Rogues. Tegan wusste all das, doch er verband sich trotzdem mit einer Frau. Bald danach wurde sie von den Rogues gefangen. Sie quälten sie. Vergewaltigten sie. Und bevor sie sie zu ihm zurückschickten, saugten sie sie fast völlig aus. Sie war eine leere Hülle – nein, schlimmer, sie gehörte zu den Lakaien des Rogue, der sie vernichtet hatte.“
„O mein Gott“, flüsterte Gabrielle entsetzt.
Lucan seufzte tief, als ob das Gewicht der Erinnerungen ihn schwer belastete. „Tegan wurde verrückt vor Wut. Er wurde zum Tier und metzelte alles nieder, was ihm über den Weg lief. Er lief so blutüberströmt herum, dass viele dachten, er würde in Blut baden. Er saugte sich voll in seinem Zorn, und fast ein Jahr lang weigerte er sich, die Tatsache zu akzeptieren, dass der Geist seiner Stammesgefährtin für immer zerstört war. Er nährte sie noch immer mit seinem Blut, nicht gewillt, ihren Verfall zu sehen. Er tötete schon beinahe wahllos, um sie zu nähren. Es war ihm gleichgültig, dass er unaufhaltsam auf die Blutgier zusteuerte. Ein ganzes Jahr lang widersetzte er sich dem Gesetz des Stammes, denn er wollte seine Stammesgefährtin nicht aus ihrem Elend erlösen. Und auch er selbst verwandelte sich langsam, aber sicher in einen Rogue. Etwas musste dagegen unternommen werden.“
Als er diese Äußerung unvollendet im Raum stehen ließ, sprach Gabrielle die Worte für ihn aus. „Und dir als Anführer fiel die Aufgabe zu, zu handeln.“
Lucan nickte grimmig. „Ich habe Tegan in eine Zelle aus dickem Stein gesperrt und dann seine Stammesgefährtin mit dem Schwert getötet.“
Gabrielle schloss die Augen. Sie spürte sein tiefes Bedauern. „O Lucan …“
„Tegan wurde erst befreit, nachdem er den Entzug von der Blutgier durchgestanden und sein Körper sich erholt hatte. Dazu waren mehrere Monate nötig, in denen er fast verhungerte und ungeheure Qualen litt. Als er endlich in der Lage war, die Zelle auf seinen eigenen Beinen zu verlassen, und merkte, was ich getan hatte, dachte ich, er würde versuchen, mich zu töten. Aber das tat er nicht. Es war ganz und gar nicht der Tegan, den ich kannte, der aus dieser Zelle herauskam. Es war etwas – Kälteres. Er hat es niemals ausgesprochen, aber ich weiß, dass er mich seitdem hasst.“
„Nicht so sehr, wie du dich selbst hasst.“
Er hatte die Zähne fest zusammengebissen, wodurch die Haut über seinen Wangenknochen noch straffer gezogen wurde. „Ich bin daran gewöhnt, schwere Entscheidungen zu treffen. Ich habe keine Angst
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