Geliebte Diebin
die verkohlte Rinde, während die Männer vorbeiritten. Bellende Hunde, galoppierende Pferde, rufende Männer, Zaumzeug und Schwerter klirrten. Mit einem Herzschlag bis zum Hals wartete sie und war sicher, dass die Gruppe gleich anhalten, sich umwenden und sie finden würde.
Yale öffnete benommen ein Auge. Es war dunkel, bis auf das Mondlicht, er wurde von starken Armen gehalten, während das Pferd unter ihm durch die Nacht zu fliegen schien. Alles in seinem Kopf drehte sich, und er fragte sich, warum sein Vater ihn wohl aus seinem Bett geholt hatte und jetzt mit ihm so schnell wie der Wind durch die Nacht ritt. Yales Kopf dröhnte bei jedem Hufschlag. Er war so müde, so benommen. Und etwas stimmte nicht, irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. Dennoch waren die Schritte von Phantom lang, sein Galopp war sicher.
»Vater?«, murmelte Yale. Seine Zunge fühlte sich aufgequollen an, während der Wald wie ein Hauch an ihm vorüberflog.
»Ich bin nicht dein Vater.«
Die Stimme kannte er nicht und Yale wandte den Kopf, um den Mann anzusehen, der ihn auf dem Rücken des Pferdes festhielt. Es war ein Fremder, ein kühner, zorniger Mann, so wie es aussah. Doch Yale war sich nicht sicher. Sein Kopf fühlte sich an, als würde er explodieren, sein Magen hob sich und die Dunkelheit, aus der er erwacht war, drohte ihn wieder zu verschlingen.
»Wer ... wer seid Ihr ... ?«, brachte er schließlich heraus und hörte, wie der Reiter lachte.
»Das willst du gar nicht wissen.«
Yale blinzelte noch einmal. Als die Landschaft jedoch in derart beunruhigender Geschwindigkeit weiter an ihm vorüberflog, verlor er erneut das Bewusstsein.
Apryll wartete. Sie zwang sich, langsam zu atmen, bemühte sich, angestrengt zu lauschen und wagte es schließlich, hinter dem Baumstamm hervorzulugen und die Dunkelheit abzusuchen. Sie schlüpfte auf den Weg und lief so schnell sie konnte auf Black Thorn zu. Sie erinnerte sich daran, vor ein paar Meilen einen Bach überquert zu haben. Wenn sie genügend Vorsprung hätte, könnte sie es bis zu dem eiskalten Wasser schaffen. Dann könnte sie das Wasser nutzen, um ihren Geruch zu verwischen und dem Bach eine Weile folgen bis zum nächsten Weg und schließlich zurück nach Serennog laufen oder zu dem Gasthaus, wo Payton sich mit seinen Männern treffen sollte. Hinter dem lügnerischen Rücken ihres Bruders Würde sie den Jungen entführen und ihm eine sichere Rückkehr nach Black Thorn ermöglichen ... Oder noch besser: Sie würde mit dem Teufel verhandeln, würde Devlynn die sichere Rückkehr seines Sohnes versprechen, zusammen mit seinen Pferden und den gestohlenen Wertgegenständen aus seiner Schatztruhe, im Austausch gegen Frieden.
Selbst wenn er zustimmte, würde das noch nicht das Ende sein. Devlynn würde sich noch immer rächen wollen, doch vielleicht wäre seine Rache ein wenig abgekühlt.
Und was wird aus Serennog? Wäre es nicht in weitaus schlimmerem Zustand als zuvor? Was bist du nur für eine Herrscherin?
Womöglich hatte Payton ja Recht gehabt. Sie würde einen reichen Baron heiraten müssen, einen, den sie kaum ertragen könnte. Sie dachte an den wohlhabenden Baron William von Balchdar und erschauderte. Er war ein grausamer Mann, zweifellos, aber nicht schlimmer als die anderen Männer, die um ihre Hand angehalten hatten. Balchdar war zumindest eine reiche Baronie.
Ihre Beine schmerzten und ihre Lunge brannte. Die Geräusche der Soldaten waren in der Ferne verschwunden. Sie ging langsamer und hoffte, dass der Schutz der Dunkelheit anhalten würde, bis sie den Bach erreicht hatte. Sie würde ihre Kleidung ausziehen und sie in der Hand tragen, damit sie nicht nass wurde. Sie beeilte sich, bis sie das Ufer des kleinen Flusses erreichte. Sicher, dass sie ihre Verfolger abgeschüttelt hatte, zog sie die Kleidung des Jägers aus und verschnürte die Hose und die Stiefel in die Ärmel der Tunika.
Der Wind war kalt auf ihrer nackten Haut, das Wasser war eisig, als sie auf die glatten Steine trat und bachabwärts ging. Die Morgendämmerung brach an, graue Lichtfinger tasteten sich über die Hügel im Osten und leuchteten durch die kahlen Äste der Bäume. Ihre Zähne klapperten und sie dachte an Dutzende von Arten, wie sie ihren Bruder umbringen würde, während sie sich einen Weg den Bach hinuntersuchte. Fische glitten an ihren Knöcheln vorbei, doch sie fühlte sie nicht, denn ihre Unterschenkel waren von der Kälte ganz taub. Der eisige Wind fegte ihr die letzte Wärme aus den
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