Geliebte Diebin
nicht ihr eigenes Kleid, das Kleid, das sie während des Festes hier gelassen hat?«
Aprylls Nacken prickelte, doch sie hielt seinem Blick stand. »Es wurde mir nicht angeboten, M'lord, sonst hätte ich es zu gern angezogen.«
»Tatsächlich?«
»Ganz besonders, wenn ich Euch damit einen Gefallen getan hätte«, spottete sie. Die Luft zwischen ihnen beiden schien zu knistern, während die Diener begannen, den Tisch zu decken. Apryll fühlte die neugierigen Blicke, sie hörte das Flüstern hinter den schweren Vorhängen, die gedämpften Wortfetzen, in denen immer wieder ihr Name fiel. Mit allem Stolz, den sie aufbringen konnte, gelang es ihr, Haltung zu bewahren.
»Ihr seht wunderbar aus«, erklärte Collin und erntete dafür sofort einen misstrauischen Blick seines Bruders. »Aber wir sind alle ein wenig angespannt, weil einige unserer Männer noch nicht zurückgekehrt sind. Männer, die nach Yale gesucht haben und die wahrscheinlich noch einige der Männer aus Serennog verfolgen, die so kühn unser Schloss überfallen haben.« Er wanderte zwischen der Treppe, der Tür und den Tischen hin und her, auf welche die Mädchen Messer legten und Becher stellten. Aus der Küche kam der Duft nach gebratenem Fleisch und knusprigem Brot. »Vielleicht könnt Ihr uns dabei helfen, die Männer zu finden.«
»Ich weiß nur das, was ich Lord Devlynn bereits gesagt habe«, antwortete sie und wiederholte, dass sie nicht gewusst hatte, dass Yale entführt und Männer getötet werden sollten. »... das Einzige, das mir eigenartig erscheint, ist, dass auch mein Bruder auf seine Soldaten gewartet hat. Er wollte gerade sein Lager abbrechen, als es mir gelang, ihn zu betäuben. Er schlief ein, gerade als Lord Devlynn auftauchte. Als wir dann wegritten, galoppierten einige der Soldaten aus Black Thorn heran.«
»Wer?«, fragte Miranda gespannt.
»Ich kenne ihre Namen nicht.«
Enttäuschung lag in Mirandas Augen und jetzt begriff Apryll, dass Miranda einen der Krieger liebte, einen der Männer, die vermisst wurden. Das hatte sie gemeint, als sie von einer unglücklichen Ehe gesprochen hatte. Sie war gebunden an einen Mann, den sie nicht liebte. Apryll verstand Mirandas
Lage. Hatte man sie nicht ebenfalls gedrängt, einen Mann zu heiraten, der Serennogs Überleben sichern sollte? Payton war nur zu gern bereit gewesen, sie an Lord Jamison oder an Baron William von Balchdar zu verheiraten, ohne dabei ihre eigenen Wünsche zu berücksichtigen.
Collin führte sie nun zur Tafel des Lords. »Vielleicht werden sie schon bald zurückkehren. Und jetzt kommt, lasst uns essen. Wie ich schon sagte, wir werden gleich morgen früh Truppen ausschicken, wenn wir bis dahin nichts von ihnen gehört haben.« Apryll zwang sich, nicht zu humpeln. Die Stiefel von Lady Glynda waren zu eng und das Messer, das sie aus dem Stiefel ihrer Jagdkleidung gerettet und in die neuen Stiefel geschoben hatte, während Miranda ihr gerade den Rücken zugekehrt hatte, kerbte sich schmerzhaft in ihren Unterschenkel.
Yale kam in den Raum gelaufen. Übermütig sprang er über eine schmale Bank. Mit einem quietschenden Jauchzen folgte ihm Bronwyn und die Hunde des Schlosses begleiteten das Ganze mit ohrenbetäubendem Gekläffe.
»Langsam«, warnte Miranda.
Yale japste zwar, doch war er noch in der Lage, sich unter dem Tisch zu verkriechen, während Bronwyn ihm auf den Fersen war. Er krabbelte wieder vor, kam auf die Beine und rannte am leeren Stuhl von Tante Vi vorbei. Nun handelte er sich einen tadelnden Blick seines Vaters ein. Unbeeindruckt, mit hochrotem Gesicht und blitzenden Augen, setzte er sich. Bronwyn plumpste auf den Platz neben ihm, auf eine kurze Bank, die zwischen Devlynn und Mirandas Stuhl stand.
Falls sie bemerkten, dass die Großen sich Sorgen machten, so ließen die beiden Kinder sich das nicht anmerken. Sie alberten, giggelten und plapperten wie zwei Spatzen im Apfelbaum an einem sonnigen Nachmittag.
Obwohl Apryll großen Hunger hatte, brachte sie kaum etwas herunter von dem köstlichen Lachs und der gebratenen Gans. Sie lauschte der Unterhaltung, hörte ihren Namen von den Tischen unterhalb der Empore wispern und wünschte, die Qual wäre bald vorüber. Neben Devlynn zu sitzen, als sei sie seine Frau und nicht seine Gefangene, weckte in ihr den blinden Wunsch, wegzulaufen. Sich einen Becher mit ihm zu teilen war lächerlich, und dennoch behielt sie ihre Würde. Selbst als sein Oberschenkel sich gegen die Falten ihres Rockes drückte und gegen ihr
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