Geliebte Feindin
… und wirksam. Alle, die sich in der Schänke befanden, erstarrten – alle, bis auf Sara. Sie machte einen Satz zur Seite und wirbelte herum, um die Quelle des Lärms auszumachen.
Sie hätte laut geschrien, wenn ihre Kehle nicht plötzlich wie zugeschnürt gewesen wäre. Ihr stockte der Atem, und ihre Knie wurden weich, als sie den riesigen Mann, der vor der Tür stand, ansah. Sara mußte sich an einem Tisch festhalten, um nicht umzufallen. Ihr Herz hämmerte wie wild, und sie war sicher, im nächsten Augenblick vor Angst zu sterben.
Grundgütiger Himmel, was war das? Nein, nicht was, korrigierte sie sich selbst – wer. Sie glaubte, dem Wahnsinn nahe zu sein. Er war ein Mann – ja, ein Mann –, aber der größte, der gefährlichste, der … O Gott, er starrte sie an.
Er krümmte den Zeigefinger und machte ihr ein Zeichen.
Sie schüttelte den Kopf.
Er nickte.
Der Raum begann sich zu drehen … Sie mußte nur ihren Verstand beisammenhalten. Sara betrachtete den Riesen und suchte verzweifelt nach etwas an ihm, was nicht so erschreckend war. In diesem Moment spürte sie, daß jemand ihren Arm umklammerte. Ohne den Blick von dem Hünen zu wenden, wischte sie die Hand beiseite. Dieser Riese brauchte als einziger kein Bad, das war immerhin etwas. Sein braunes Haar, das fast den gleichen Farbton hatte wie seine sonnengebräunte Haut, schien auch sauber zu sein. Großer Gott, dachte sie, seine Arme und seine Schulter waren so … muskulös – ebenso wie seine Schenkel, die sich unter seinen enganliegenden Breeches abzeichneten. Es waren saubere Breeches – Verbrecher trugen nur zerknitterte, stinkende Kleider, oder nicht? Also, dachte sie mit all der Logik, zu der sie in diesem Augenblick fähig war, also konnte er kein Verbrecher sein. Diese Schlußfolgerung bewirkte, daß sie sich besser fühlte, und sie war endlich in der Lage, tief durchzuatmen. Gut, er ist kein Verbrecher, aber er ist bestimmt ein Kreuzritter oder ein Wikinger – schon allein wegen des langen Haars, dachte sie, als sie ihre eingehende Betrachtung beendet hatte. Ja, er war ganz sicher ein Barbar, der sich in ihre Zeit verirrt hatte.
Ich muß übergeschnappt sein, überlegte sie. Der grünäugige Kreuzritter winkte sie schon wieder zu sich. Sie drehte sich um, nur um sich zu vergewissern, daß er niemand anderen meinte. Da war niemand.
Er meinte sie. Ihr Magen flatterte. Sie blinzelte, aber er verschwand nicht; dann schüttelte sie den Kopf, um diese teuflische Vision aus ihrem Geist zu vertreiben.
Er krümmte erneut seinen Finger. »Komm her.«
Seine tiefe Stimme klang arrogant. Gütiger Himmel, sie bewegte sich doch tatsächlich auf ihn zu! In diesem Augenblick brach die Hölle los. Eine Peitsche zischte durch die Luft, die Narren, die versuchten, Sara zurückzuhalten, schrien gellend auf; der Lärm dröhnte in Saras Ohren, aber sie drehte sich nicht um, um das Ausmaß der Zerstörung zu betrachten. Ihr Blick war starr auf den Mann gerichtet, der systematisch die ganze Spelunke verwüstete.
Alles sah so einfach aus. Eine leichte Bewegung seines Handgelenks, die ihm nicht die geringste Mühe zu machen schien, hinterließ verheerende Spuren.
Sara gewahrte, daß sein Blick immer eindringlicher wurde, je näher sie ihm kam.
Der finstere Ritter war offenkundig in ausgesprochen schlechter Stimmung. Sie beschloß, sich seinen Wünschen zu fügen, bis sie ihre Fassung wiedergewonnen hatte. Dann wollte sie aus der Tür rennen, in die Kutsche springen und in Richtung Hafen preschen. Das war ein guter Plan, lobte sie sich selbst; das Problem war nur, daß der Wikinger die Tür blockierte. Sie fühlte eine Hand auf ihrer Schulter, und bevor sie reagieren konnte, hörte sie das Zischen der Peitsche. Plötzlich flog Sara förmlich auf den Riesen zu, fest entschlossen, ihn zu erreichen, bevor ihr das Herz stehenblieb. Sie schwankte, als sie direkt vor ihm stand, legte den Kopf zurück und sah in diese irritierend grünen Augen, bis er seinen Blick auf ihr Gesicht senkte. Instinktiv streckte sie die Hand aus und berührte seinen Arm, nur um festzustellen, ob er aus Fleisch und Blut oder ein Produkt ihrer Phantasie war.
Er war aus Fleisch und Blut. Seine Haut fühlte sich wie Stahl an, wie warmer Stahl.
Es war verrückt, aber je länger sie ihn betrachtete, desto sicherer fühlte sie sich. Sie lächelte erleichtert. Nathan hob eine Augenbraue, und sie flüsterte: »Ich weiß, daß du kein Schurke bist, Wikinger.«
Plötzlich fühlte sich Sara
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