Geliebte Feindin
einziges Wort von dem merken würde, was sie ihm zu sagen hatte, beschloß sie, ihn wissen zu lassen, daß sie ihn für einen schändlichen Halunken hielt. »Du willst wissen, ob etwas nicht stimmt?« fragte sie spöttisch. »Du bist ein grausamer Schurke, Onkel Henry. Wenn mein Vater erfährt, was ihr, du und deine anderen Brüder, Tante Nora angetan habt, wird er sicherlich die Polizei benachrichtigen und euch an den Galgen bringen.«
»Was sagst du da?« fragte Henry und rieb sich die Stirn, um sich besser auf das Gespräch konzentrieren zu können. »Nora? Du belästigst mich wegen diesem nichtsnutzigen Weib?« Bevor Sara etwas auf diese unverschämte Bemerkung erwidern konnte, polterte er los: »Dein Vater wußte von Anfang an von unserem Plan. Nora ist zu alt, um allein ihre Angelegenheiten regeln zu können. Wir wissen, was das Beste für sie ist … Du brauchst es gar nicht zu versuchen, Mädchen, ich erzähle dir auf keinen Fall, wo sie ist.«
»Ihr wißt, was das Beste für sie ist?« wiederholte Sara schrill. »Ihr wollt nur ihr Vermögen an euch bringen, das ist der einzige Grund. Alle Welt weiß von deinen Spielschulden, Onkel, und du hast eine bequeme Möglichkeit gefunden, sie zu begleichen. Um an das Geld zu kommen, hast du beschlossen, Nora in ein Irrenhaus zu sperren.«
Henrys düsterer Blick wanderte zwischen dem leeren Bierkrug und seiner Nichte hin und her, und mit einemmal dämmerte ihm vage, daß sie das Bier über seinen Kopf geschüttet hatte. Er betastete seinen Kragen, um sich zu vergewissern, und als er spürte, daß er feucht war, geriet er außer sich: »Wir werden sie beiseite schaffen und du wirst uns nicht daran hindern«, brüllte er. »Jetzt verschwinde von hier, bevor ich dich übers Knie lege.«
Ein Kichern ertönte hinter ihr, und Sara wirbelte herum. »Trinkt Euer Bier, Sir, und haltet Euch aus dieser Angelegenheit heraus«, fauchte sie, dann wandte sie sich wieder ihrem Onkel zu und sagte: »Du erzählst Lügen über meinen Vater, er würde niemals einem so schändlichen Plan zustimmen. Und was die Prügel betrifft, die du mir androhst – wenn du Hand an mich legst, wirst du es mit meinem Mann zu tun bekommen. Wenn ich ihm davon erzähle, wird er rasen vor Zorn.« Sie nickte, um ihre Worte zu bekräftigen.
Sara hoffte, daß die Anspielung auf die Entschlossenheit ihres Mannes dieselbe Wirkung auf ihren Onkel wie auf Clifford haben würde.
Ihre Hoffnung erfüllte sich nicht. Henry war überhaupt nicht beeindruckt und schnaubte verächtlich. »Du bist genauso verrückt wie Nora, wenn du glaubst, daß ein St. James jemals Anstalten machen würde, dich zu verteidigen. Ich könnte dich windelweich schlagen, und niemand würde davon Notiz nehmen, am allerwenigsten dein Ehemann.«
Sara blieb standhaft und beschloß, ihrem Onkel das Versprechen abzunehmen, daß er und seine Brüder Nora in Ruhe lassen würden. Sie befürchtete, daß sie Nora überall aufstöbern und nach England zurückschaffen könnten. Ihr Vermögen war immerhin so groß, daß sich die Mühe lohnen würde.
Sie war so wütend auf ihren Onkel, daß sie gar nicht registrierte, daß einige bedrohliche Gestalten langsam auf sie zukamen. Nathan hingegen bemerkte es. Einer der Burschen, den er für den Anführer der Bande hielt, leckte sich die Lippen in freudiger Erwartung auf das Vergnügen, das ihm dieses Mädchen bereiten würde.
Sara erkannte plötzlich die Sinnlosigkeit ihres Plans und sagte: »Eigentlich wollte ich dich bitten, mir dein Wort zu geben, daß du Tante Nora nichts zuleide tust, Onkel Henry. Aber jetzt weiß ich, daß es verrückt wäre, anzunehmen, daß ein solcher Bastard wie du sein Wort halten würde. Ich verschwende hier nur meine Zeit.«
Ihr Onkel holte aus, um ihr eine Ohrfeige zu versetzen. Sara hatte keine Mühe, ihm auszuweichen. Sie ging rückwärts, bis sie an etwas Massives stieß. Sie drehte sich um und sah sich plötzlich von lauter übel aussehenden Männern umringt. Diese Kerle brauchen dringend ein Bad, schoß es ihr durch den Kopf.
Alle waren so fasziniert von der wunderschönen Lady, daß Nathan gänzlich unbemerkt blieb, und ihre Lüsternheit machte sie unvorsichtig. Es dauerte nicht lange, bis sie diesen Fehler bereuten. Nathan lehnte sich an die geschlossene Tür und wartete auf die erste Provokation.
Ab diesem Zeitpunkt geschah alles sehr schnell. Als der erste Halunke Saras Arm festhielt, stieß Nathan einen zornigen Schrei aus. Der Laut war tief und ohrenbetäubend
Weitere Kostenlose Bücher