Geliebte Gefangene
hätte mir früher sagen müssen“, beharrte er, „dass die Prinzessin in Grafton versteckt ist. Und sie hätte niemals versuchen dürfen, das Kind hinter meinem Rücken in Sicherheit zu bringen.“
„Herr im Himmel!“, stieß Fulwar voller Verachtung aus. „Sie erfüllte ein heiliges Versprechen, das ihr Vater ihr auf dem Sterbebett abgenommen hatte!“
„Trotzdem – sie hat mich hintergangen.“ Simon presste die Lippen aufeinander. Er würde seinem Vater gegenüber niemals zugeben, dass er gehofft hatte, Anne würde lernen, ihn genauso sehr zu lieben wie er sie – genug, um ihre schwerste Bürde mit ihm zu teilen, das größte Geheimnis, die schwierigste Entscheidung. Das hatte er gehofft, und die Erkenntnis, dass es nicht so war, hatte ihm das Herz gebrochen.
„Dein Kopf ist voller Unsinn“, sagte Fulwar kurz und fuhr dann aufgebracht fort: „Sag mir nur eines, und sei ehrlich: Wenn Anne in Grafton zu dir gekommen wäre, vor oder nach eurer Hochzeit, und dir gesagt hätte, dass sie Prinzessin Elizabeth versteckt hält, was dann? Hättest du das Kind zurück zum König geschickt? Nun?“
Simon setzte an zu sprechen, hielt dann aber doch inne. Er hätte zu gerne behauptet, dass er natürlich das moralisch Richtige getan und Elizabeth nach Oxford geschickt hätte. Er wollte versichern, dass zumindest er so viel Ehrgefühl hatte, das Richtige und nicht das politisch Nützliche zu tun. Aber etwas, ein winzig kleiner Teil Unsicherheit, hielt ihn zurück. Zum ersten Mal dachte er ohne die verwirrenden Gefühle, die Annes Verrat in ihm hervorrief, darüber nach. Wenn sie zu ihm gekommen wäre, nicht in der Hitze der Gefahr, sondern im kalten Licht des Tages, und ihm erzählt hätte, dass in der Burg des Königs größter Schatz, viel kostbarer als Geld, verborgen war, hätte er das Kind seinem Vater zurückgegeben? Oder hätte er beschlossen, dass die Entscheidung bei seinen politischen Vorgesetzten lag und die Prinzessin nach London geschickt, um es Cromwells Ermessen zu überlassen?
Zweifel erfüllten ihn. Er konnte sich nicht sicher sein. Auch wenn er mit Bestimmtheit wusste, dass er niemals persönlichen Vorteil aus dem Kind geschlagen hätte, war es etwas ganz anderes, gegen die ausdrücklichen Befehle seiner Generäle zu han deln. Sie hätten die Prinzessin in ihrer Gewalt haben wollen, um sie als Druckmittel gegen ihren Vater einzusetzen. Daran gab es keinen Zweifel. Sowohl Cromwell als auch Fairfax waren sehr wütend auf ihn gewesen, als sie herausfanden, dass Simon auf seine eigene Entscheidung hin das Kind zurück nach Oxford geschickt hatte.
Fulwar beobachtete ihn genau. „Und?“, fragte er.
„Ich hätte sie zurück zum König geschickt“, sagte Simon schließlich.
„Das glaube ich auch“, stimmte Fulwar ihm barsch zu. „Aber du siehst, wie schwer es ist, sich sicher zu sein. Anne konnte sich den Luxus nicht leisten, dieses Risiko einzugehen. Sie konnte es sich nicht erlauben, mit dem Leben und der Zukunft eines Kindes, das sich in Gefahr befand, zu spielen. Also sorgte sie dafür, dass du diese Entscheidung nicht fällen musstest.“
Es herrschte Schweigen.
„Wenn schon nichts anderes, dann gestehe ihr wenigstens zu, dass sie die schwierigste Entscheidung ihres Lebens traf. Ob sie nun richtig oder falsch war, so hatte sie immerhin den Mut, sie zu fällen.“
Simon antwortete immer noch nicht. Er spürte, wie der kalte, harte Knoten der Wut sich in ihm löste, und für einen Moment hatte er große Angst, sich all dem zu stellen, was vor ihm lag. Aber er wusste, dass Fulwar ihn nun nicht mehr feige davonlaufen lassen würde. Er wusste, dass es Zeit war, sich der Sache zu stellen.
Fulwar räusperte sich. „Wie, denkst du, hätte sich Anne gefühlt, wenn sie dir die Entscheidung überlassen hätte und du beschlossen hättest, Elizabeth zu Fairfax nach London zu schicken?“, fragte er.
Simon richtete seinen Blick starr auf die akkurat beschnittenen Buchsbaumhecken des Gartens. „Ich vermute, dass sie mir niemals vergeben hätte.“
„Da irrst du dich. Sie hätte dir vergeben, weil sie dich liebt. Aber du hättest ihr das Herz gebrochen.“ Fulwar schlug seine Hand noch einmal mit einem lauten Knall auf den Sitz der Bank, und das Holz knarrte. „Jetzt will ich keinen weiteren kläglichen Unsinn mehr von dir hören, mein Junge! Deine Frau hat mehr Mut in ihrem kleinen Finger als dein gesamtes Bataillon von Männern. Sie liebt dich, und sie hat dir das Leben gerettet. Und du
Weitere Kostenlose Bücher