Geliebte Gefangene
mir nicht vergeben, dass ich ihn hintergangen habe“, beendete Anne den Satz. „Ich habe ihm nie die Wahrheit über den Schatz des Königs anvertraut, und am Ende hat uns mein Misstrauen beinahe alle das Leben gekostet.“ Sie drehte sich zur Seite, wandte das Gesicht ab und presste ihre Wange in das kühle Kissen. Ihre Augen brannten von unvergossenen Tränen.
„Das war immer die Gefahr bei meinem Vorgehen“, sagte sie leise. „Ich wollte nie, dass Simon zwischen seiner Pflicht gegenüber dem Parlament und seiner Menschlichkeit wählen müsste. Denn wenn er gewusst hätte, dass der Schatz die Tochter des Königs ist, was hätte er anderes tun können, als sie an seine Herren zu verraten? Wenn er das nicht getan und ihr bei der Flucht geholfen hätte, hätten sie ihn sicherlich seines Befehls enthoben – ihn vielleicht sogar des Hochverrats angeklagt.“ Eine Träne lief ihr über die Wange. „Also wollte ich ihm die Entscheidung ersparen.“
Edwina berührte ihren Arm. „Ihr habt das Richtige getan, Madam“, sagte sie entschieden. „Ihr habt Lord Grevilles Leben gerettet, genau wie das der Prinzessin. Eines Tages wird er das verstehen.“
„Und am Ende musste er diese Entscheidung doch treffen“, erwiderte Anne bitter. „Und er entschied sich, das Kind zu retten und ihm bei der Flucht zu helfen.“
„Ja, Madam.“ Edwinas Stimme klang nun sanfter. „Er ist ein guter Mann.“
„Ich weiß“, bestätigte Anne. „Und ich habe einen guten Mann verloren, weil ich ihm nicht vertrauen konnte.“
Edwina verließ das Zimmer und schloss leise die Tür. Einige Augenblicke später kehrte sie mit einer Schüssel Brühe und einem Stück Brot und Käse zurück. Auch wenn die Dienerin versuchte, sie zum Essen zu bewegen, und ihr wieder zum Leben erwachter Körper ihr sagte, dass er hungrig war, fühlte Anne sich doch zu krank und unglücklich, um mehr als einige wenige Bissen hinunterzubekommen.
Harington kam Simon vertraut und gleichzeitig auf subtile Art verändert vor, als er durch die Tore ritt. Das lang gestreckte elisabethanische Landhaus mit seinen schwarzen Balken und weißen Mauern lag friedlich in den sommerlichen Feldern, als würde es in der Sonne dösen. Es sah zeitlos aus, und doch war so viel geschehen, seit er das letzte Mal in seinen Mauern gewesen war. Hier hatte er mit seinem Vater gestritten und war in den Krieg gezogen. Jetzt kehrte er älter und unendlich viel müder zurück. Er hatte Dinge gesehen, von denen ein Mann hoffte, sie nie in seinem Leben sehen zu müssen, und er hatte Dinge getan, die er lieber vergessen würde. Er hatte die Hitze der Schlacht und die Kälte einer verlorenen Liebe erfahren. Und jetzt, wie er reuevoll zugeben musste, brauchte er den Rat seines Vaters.
Fulwar Greville humpelte über den Kies, um ihn zu begrüßen, als er vor der Tür von seinem erschöpften Pferd glitt. Im Haus herrschte geschäftige Aufregung. Es hatte sich herumgesprochen, dass Simon nach Hause gekommen war, und jeder wollte das erste Zusammentreffen zwischen dem Earl und seinem Sohn miterleben. Fulwar hatte in der vergangenen Zeit eine Laune wie der Teufel gehabt, und der Bruch mit seinen Söhnen hatte sein ohnehin schwieriges Temperament noch unberechenbarer gemacht.
Für einen langen Moment starrten sich Vater und Sohn an. Dann sagte Simon: „Sir?“
Fulwar funkelte ihn unter struppigen Augenbrauen an. „Du siehst beinahe krank aus, mein Sohn. Was ist los?“
Simon lachte. „Ich freue mich auch, Euch zu sehen, Sir. Geht es Euch gut?“
„Kann mich nicht beschweren“, grummelte Fulwar. Eindringlich sah er Simon an. „Ich bin gesund, und meine Söhne sind beide am Leben.“ Sein Gesicht verdunkelte sich. „War es schlimm, Junge?“
„Die Hölle“, sagte Simon. Er folgte seinem Vater durch einen Durchgang in den sonnendurchfluteten Garten. Unter den breiten Ästen eines alten Apfelbaums, auf dem Simon, wie er sich noch gut erinnerte, in seiner Kindheit herumgeklettert war, stand eine Bank. Plötzlich war er von Wehmut erfüllt, wegen all der Dinge, die sich verändert hatten.
„Also“, begann Fulwar, nachdem er sich auf der Bank niedergelassen hatte, „warum bist du hergekommen? Ich hätte erwartet, dass du schon lange nach Grafton zurückgekehrt bist. Ein Mann braucht ein Zuhause nach den Schrecken des Krieges.“ Er hielt inne, als er sah, wie sich der Gesichtsausdruck seines Sohnes veränderte.
„Fairfax hat mich nach London beordert. Es gibt viel Arbeit. Ich werde
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