Geliebte Gefangene
sitzt hier und jammerst mir vor, dass sie dir nicht traut!“ Er schnaubte verächtlich. „Scher dich endlich zurück nach Grafton. Und wenn du dich mit deiner Frau versöhnt hast, bring sie her, damit ich ihr zu ihrem Mut gratulieren und ihr danken kann, dass sie meine beiden Söhne gerettet hat.“ Er fuhr sich mit einer Hand durch sein dichtes graues Haar. „Ohne sie würde es schlecht mit mir aussehen!“ Er funkelte Simon unter heruntergezogenen Augenbrauen an. „Weiß sie überhaupt, dass du hier bist?“
„Ich habe ihr eine kurze Mitteilung geschickt“, sagte Simon.
„Eine kurze Mitteilung!“, brüllte Fulwar. „Gott im Himmel, Junge, du stellst meine Geduld auf eine harte Probe! Jetzt scher dich schon endlich nach Hause!“
„Wie Ihr wünscht, Sir.“ Steif kam Simon auf die Füße, denn die Verletzungen, die er in Naseby davongetragen hatte, schmerzten noch immer ein wenig. „Ich werde mit ihr reden.“
„Reden!“ Fulwar sah wütend aus. „Ich will einen Erben für Grafton und Harington, und du sprichst davon, mit ihr zu reden? “
Simon musste lachen. „Das wäre immerhin ein Anfang, Sir.“
Für einen langen Moment starrten sich die beiden an, und all die bitteren Worte und die Anschuldigungen und die Feindschaft traten in den Hintergrund, und das Gewicht der Entfremdung hob sich von Simons Schultern. Für einen Moment glaubte er sogar, dass sein Vater ihn tatsächlich umarmen würde, aber dann räusperte Fulwar sich, blinzelte die verdächtige Feuchtigkeit aus den Augen und sagte barsch: „Du wirst zum Essen bleiben. Ein Mann kann nicht mit leerem Magen reisen.“
Er klopfte seinem Sohn auf die Schulter, und Simon wusste, dass dies alles an Anerkennung war, was er je von seinem Vater bekommen würde, aber er wusste auch, dass es genug war.
Es war ein heißer Tag gewesen, aber nun wurden die Schatten länger und die Luft kühler, und die schmale Sichel des neuen Mondes stieg in den Himmel über Grafton. Anne hatte fast den ganzen Tag im Garten gesessen. Die Wärme der Sonne und die sommerliche Helle taten ihrem Körper gut. Seit Tagen wurde sie immer kräftiger, denn sie war jung und stark und aß mehr als ausreichend. Aber im Inneren sah es anders aus, denn ihre Seele war nicht so widerstandsfähig. Sie wusste, sie würde sich erholen und eines Tages sogar Simons Verlust ertragen können, denn es gab keine andere Möglichkeit. Aber noch fühlte sie sich müde und schwach.
Jetzt, da Gerard Malvoisier tot und seine Männer gefangen waren, war wieder Friede in Grafton eingekehrt. Unter Will Jackson, der sich schnell zu einem fähigen Oberbefehlshaber entwickelt hatte, war es friedvoll in der Burg geworden, und die Dorfbewohner bauten ihre Häuser wieder auf. Muna bereitete sich auf ihre Hochzeit mit Henry Greville vor, die im September in Harington stattfinden sollte. Sie hatten sich während Annes langer Genesungszeit wieder versöhnt. Aber Anne war insgeheim froh, dass Henrys Pflichten unter Cromwells Befehl ihn im Moment von Muna fernhielten, denn sie würde es nicht ertragen, mit ihm über Simon zu sprechen. Mit der andauernden Abwesenheit ihres Mannes zu leben war genauso, als würde sie versuchen, mit einem gebrochenen Knöchel zu laufen. Jeder Schritt war eine Qual, und doch biss sie die Zähne zusammen und ertrug den Schmerz.
Schatten schoben sich über die Pergola, in der sie saß, und Anne zog den Schal enger um sich. Sie hörte, dass sich jemand über den Kies näherte – vielleicht Edwina, die sie zum Abendessen rufen wollte. Ihr früheres Kindermädchen war übertrieben fürsorglich geworden, seit Anne wieder vom Krankenbett aufgestanden war.
Die Schritte verstummten, und Anne sah auf. Ihr Herz fing in einer Mischung aus Überraschung, Angst und Glück wild an zu schlagen. Der Gedichtband fiel unbeachtet von ihrem Schoß. Sie stand auf.
„Simon!“
Sie eilte ihm über das Gras entgegen, bis sie nur noch wenige Schritte voneinander entfernt waren, dann blieb sie stehen. Er lächelte nicht. Sein Gesichtsausdruck war hart, beinahe düster. Er war staubig von der Reise, und er hinkte ein wenig. Auf seiner Wange heilte ein Schwertschnitt.
Annes Herz gefror. In ihrer Freude, ihn zu sehen, hatte sie ihre Gefühle zu offen gezeigt, aber nun bemerkte sie, dass von ihm keine Freude ausging. Und warum auch? Das letzte Mal hatten sie in Malvoisiers Gegenwart miteinander gesprochen, als sie das ganze Ausmaß ihres Betrugs an ihm offenbart hatte. Sie hatte keine Gelegenheit
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