Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geliebte Gefangene

Geliebte Gefangene

Titel: Geliebte Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: NICOLA CORNICK
Vom Netzwerk:
gemacht, das ist alles.“
    Harry entging nicht, dass Walter sofort ein wachsames Gesicht machte. Mit seiner Sichtweise der Dinge ließ er andere immer wachsam werden. Es war so etwas wie eine Gewohnheit von ihm, wenn auch eine unbeabsichtigte.
    „Was, zum Teufel, führst du diesmal im Schilde, Harry?“, fragte Walter beunruhigt. „Doch nicht wieder ein halsbrecherisches Rennen nach Edinburgh auf gemieteten Gäulen, hoffe ich. Oder willst du wieder mit verbundenen Augen einen Zweispänner lenken? Bereite dem guten Namen dieses Clubs keine Schande mehr, ja?“
    „Oh, gewiss nicht.“ Betont lässig zuckte Harry die Achseln, auch weil er bemerkt hatte, dass auch viele der anderen ihrem Gespräch lauschten. Zweifellos begann man bereits zu munkeln und würde bald die ersten Wetten ins Wettbuch eintragen. Er hatte es nie darauf angelegt, sich den Ruf eines Teufelskerls zuzulegen oder auf den Skandalseiten der Zeitungen zu erscheinen. Alles, was er wollte, war, die Grenzen seiner eigenen Geschicklichkeit und seines Einfallsreichtums auszuloten und sich selbst auszuprobieren.
    Und wenn er dabei leichtsinnig Gefahr, Unglück und Tod herausforderte, dann war das eben so. Das ging nur ihn allein etwas an, und er scherte sich einfach nicht drum. Er war an keine Frau, keine Familie oder sonst ein sterbliches Wesen gebunden, das sich ehrlich um ihn sorgte. Die einzigen beiden Wesen, die sein Leben einmal erhellt hatten – sein jüngerer Bruder George und das einzige Mädchen, das er wirklich geliebt hatte –, waren schon vor Langem aus diesem Leben verschwunden. Sie hatten ihn für immer verlassen. Jetzt stand er kurz vor seinem dreißigsten Geburtstag, war stark, ungeheuer reich und von ehrenwertem Adel, zudem sah er leidlich gut aus. Und doch gab es viel zu viele Morgen, an denen er erwachte, zum plissierten Baldachin hinaufstarrte und sich bekümmert fragte, wieso das Schicksal einen weiteren Tag für ihn – ausgerechnet für ihn – bereithielt .
    Walter räusperte sich unsicher. „Was ist denn los, Harry? Wieso hat dich das Lied dieses jungen Dings so nachdenklich gemacht? Verdammt noch mal, ich hasse es, wenn du so geheimnisvoll wirst!“
    Harry blickte über ihn hinweg zu dem großen Spiegel, der über einem der Kamine hing. Das Spiegelbild des aufgehenden Mondes, das er dort sah, erschien ihm wie ein silbernes Leuchtfeuer. Es zeigte ihm anscheinend einen Weg – aber wohin nur?
    „Wie lange ist es eigentlich her, dass Dick Turpin seine berühmte Black Bess über Hounslow Heath ritt?“, sinnierte er. „Das war zu Zeiten unserer Großväter, nicht wahr? Länger liegt es nicht zurück. Doch wie viel hat sich seither verändert!“
    Walter schnaubte spöttisch. „Dass ein Gentleman heutzutage in Frieden reisen kann und nicht um sein Leben und um seine Taschenuhr fürchten muss, das hat sich geändert.“
    „Aber denk doch einmal an das Abenteuer. Das ging verloren!“, meinte Harry mit einem bedauernden Seufzer. „Was ist aus der Tapferkeit geworden, frage ich dich? Diese alten Kavaliere der Straßen wussten noch, wie man das Herz einer Dame stiehlt, zusammen mit ihrem Medaillon. Und den Inhalt des Geldbeutels eines fetten Landjunkers teilten sie mit den Witwen und Waisen.“
    „Und was ist aus ihnen geworden? Alle wurden sie durch den Strang hingerichtet“, sagte Walter. „So wie du, falls du so etwas jetzt ausprobieren willst.“
    „Eine Nacht, Walter“, drängte Harry. „Ein Ritt, das ist alles. Ein schwarzes Tuch und einen schwarzen Mantel, ein Paar Pistolen. Das dunkelste Pferd aus meinem Stall wird zu meiner Black Bess. Wie kann ich einen Mond wie diesen einfach ungenutzt lassen?“
    „Das wirst du, wenn dir dein Leben lieb ist“, warnte Walter ihn ernsthaft. „Harry, heutzutage hat jede Postkutsche einen Mann mit einer Donnerbüchse oben neben dem Kutscher. Und sie werden sich nicht die Zeit nehmen, dich nach deinem Namen zu fragen, oder um Erlaubnis bitten, bevor sie dich erschießen.“
    Doch Harry lächelte gelassen. „Wer sagt denn, dass ich eine Postkutsche anhalten will? Eine private Kutsche, mit einer hübschen Dame drin – das ist mehr nach meinem Geschmack.“
    „Ein Vollmond ist keine Garantie für irgendetwas, und eine hübsche Dame auch nicht“, entgegnete Walter kopfschüttelnd. „Das solltest doch gerade du wissen.“
    „Und gerade mir ist das völlig egal.“ Harry streckte die Hand aus und klopfte Walter herzlich auf die Schulter. „Langsam müsstest du doch wissen, was

Weitere Kostenlose Bücher