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Geliebte Gefangene

Geliebte Gefangene

Titel: Geliebte Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: NICOLA CORNICK
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Kutschenfenster lehnen, das Mondlicht würde auf ihr Gesicht fallen und …
    Und was dann? Jäh endete hier das Bild. Es war von einer Erinnerung unterbrochen worden, die hell wie das Mondlicht in ihm aufblitzte und so erschreckend klar vor seinem inneren Auge stand, dass sie Harry laut fluchen ließ.
    Es war ein anderer Aprilmond gewesen, ähnlich diesem hier, seine letzte Nacht zu Hause auf Atherwall Manor, bevor er den Kontinent besuchte: Er war wieder achtzehn Jahre alt, und Sophie war sechzehn, das Alter, das sie immer für ihn haben würde. Sie hatten sich an ihrem besonderen, ihrem geheimen Ort getroffen, der oben über den Ställen lag. Man musste über eine Leiter klettern, um dorthin zu gelangen. Sie wussten, dass sie da oben allein waren, bis auf die dösenden Pferde unter ihnen.
    Doch das Mondlicht war ihnen gefolgt, fiel durch das einzige, viereckige Fenster und fand Sophies volles, goldblondes Haar. Immer hatte ihn ihr Haar an ein Bündel frisches Stroh erinnert, glatt und glänzend, allen Bemühungen ihrer Tante widerstehend, die es um der Mode willen zu Locken drehen wollte. Und sie duftete auch wie frisch gemähtes Heu in der Sonne, süß und wild. Außerdem hatte sie Sommersprossen auf der Nase, als hätte man Zimt darübergestreut.
    Sie hatte versprochen, tapfer zu sein und nicht zu weinen, und sie hatte Wort gehalten, bis zuletzt. Doch die Traurigkeit in ihren Augen hatte sie nicht verbergen können. Als hätte sie damals bereits geahnt, wie endgültig ihr Abschied sein würde. Und als sie sich das letzte Mal liebten, war ihm, als wäre jede ihrer Berührungen, jeder ihrer Küsse voll bittersüßer Zärtlichkeit. Da hatte sie es bereits gewusst. Sie hatte es gewusst. Aber er, großer Narr, der er damals gewesen war, hatte erst verstanden, als es bereits zu spät war, als sie ihm seine Briefe ungeöffnet, ungelesen zurücksandte. Sie hatte sie nicht gewollt.
    Es schien, als wären sie schon von Geburt an Freunde gewesen. Er hatte immer erwartet, dass sie bis zu seinem Tod bei ihm bleiben würde. Niemals hätte er gedacht, dass sie gleich beim ersten Mal, als das Schicksal sie trennte, alles, was zwischen ihnen war, so abrupt beenden würde.
    „Guten Abend, Mylord“, begrüßte ihn nun der Butler, der die Tür öffnete. Als Harry ins Licht der Laterne trat, die während der Nacht die Halle erleuchtete, wechselte der Gesichtsausdruck des Mannes und zeigte Besorgnis. „Geht es Ihnen nicht gut, Mylord? Soll ich vielleicht …“
    „Natürlich geht es mir gut“, erwiderte Harry und bemühte sich, seine vorherige unbekümmerte Großspurigkeit wiederzuerlangen. Niemand konnte die Vergangenheit ungeschehen machen, vor allem nicht die, die er mit Sophie Potts geteilt hatte. Und je eher er das endlich einsah, desto besser. „Auf jeden Fall gut genug. Kommen Sie, Hargraves, beeilen Sie sich. Ich muss heute Abend noch eine Menge erledigen und habe herzlich wenig Zeit, um all das zu schaffen.“

2. KAPITEL
    „Sie sollten die Nacht über besser hierbleiben, Miss“, meinte Mrs. Lowry, die stämmige Frau des Wirts. Sie hatte die Hände über der Schürze gefaltet und verzog besorgt das runde Gesicht. „Es ist nicht gut, eine Reise nach Anbruch der Dunkelheit zu beginnen. So etwas zieht einfach das Unglück an, Miss.“
    Bedächtig stellte Sophie den irdenen Teebecher auf den Tisch. An Glück oder Unglück zu glauben war ein Luxus, den sie sich nie erlaubte. „Ich danke Ihnen für Ihre Fürsorge, aber sobald das Kutschrad repariert ist, muss ich weiter.“
    Mrs. Lowry gab vor, nichts gehört zu haben. Stattdessen musterte sie offen Sophies einfaches Reisekleid und schätzte ihre Zahlungsfähigkeit ein. Das Gasthaus war klein und alt, mit nur diesem einen Schankraum. Und aus dem immer noch in der Luft hängenden Tabakdunst des vorherigen Abends und den leeren, zerkratzten Tischen schloss Sophie, dass die Lowrys ihr größtes Geschäft mit den Bauern machten, die nach des Tages Arbeit auf einen Schluck vorbeikamen, und nicht mit müden Reisenden, die hier übernachteten.
    „Ich würde ja nicht viel für die Nacht verlangen, Miss“, sagte die Frau des Wirts schließlich. Sie hatte entschieden, dass So phie der Mühe wert war. „Weil Sie ehrbar sind, könnte ich Sie zu der Witwe tun. Sie ist klein und wird nicht mehr als ihren Anteil der Bettstatt einnehmen.“
    Was für ein trauriges Kompliment, dachte Sophie selbstironisch. Mit ihren siebenundzwanzig schätzte man sie also als eine ältliche Jungfer

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