Geliebte Gefangene
Sophie, richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und bemühte sich, trotz des Geigers, der eben wieder ein neues Stück spielte, gehört zu werden. „Aber ich habe keine Pferde, nach denen gesehen werden muss. Das ist mein Problem, wissen Sie. Ich muss …“
„Verzeihen Sie, Mistress?“, schrie der Mann und deutete entschuldigend mit dem Zeigefinger auf sein Ohr, um anzudeuten, dass er sie wegen des Lärms nicht richtig verstehen konnte. „Sie haben ein Problem mit Ihren Pferden?“
„Nein, nein, nein!“, rief sie und senkte dann die Stimme, als der Mann sich endlich einen Weg zu ihr gebahnt hatte. „Nein, Mr. Connor. Mein Kutscher hat mich im Stich gelassen, und jetzt muss ich eine Kutsche oder Kalesche mieten, um nach Winches ter zu kommen. So schnell wie möglich, Mr. Connor, bitte.“
Der Wirt drückte das Kinn auf die Brust und zog die Stirn kraus, während er mit dem Kopf schüttelte. „Nicht heute Nacht, Mistress. Es tut mir ja sehr leid, Sie zu enttäuschen, aber bei diesem ausgelassenen Gelage ist kein einziger Mann mehr nüchtern genug, um auf den Kutschbock zu klettern, geschweige denn, nach Winchester zu fahren.“
Entschlossen straffte Sophie die Schultern. „Ich bin bereit zu zahlen, was nötig ist, Mr. Connor“, sagte sie und hielt wie zur Bestätigung ihrer Worte ihr Retikül hoch. „Aber ich muss morgen in Winchester sein.“
„Nicht von hier aus, Mistress, von hier aus nicht“, erklärte er mit Bestimmtheit. „Sie würden Ihr Leben aufs Spiel setzen, wenn Sie mit einem von denen … ah, mein lieber Lord Burton! Wie lange haben Sie uns hier im alten Pfau schon nicht mehr die Ehre gegeben! Willkommen, Mylord, willkommen! “
Sophie musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass Harry sie eingeholt hatte. Warum sollte sie auch, wo Connors Begrüßung die gleiche Wirkung hatte wie eine königliche Fanfare?
„Wie geht es Ihnen, Connor?“, sagte Harry herzlich. „Und Ihrer Frau und den Kleinen? Ja wirklich, ich bin zu lange fort gewesen.“
„Gut, gut, wir können uns nicht beklagen“, strahlte der Gastwirt. Doch dann verschwand sein Lächeln, und er wurde ernst, als er Harrys Kleidung sah. „Oh, Mylord, es tut mir leid. Mein herzliches Beileid zu Ihrem Verlust, Mylord.“
Sophie drehte sich um, bereit, eine spöttische Bemerkung darüber zu machen, dass der Wirt Harrys schwarze Straßenräuberkleidung mit Trauerkleidung verwechselte. Doch zu ihrem Schreck wirkte Harrys Miene plötzlich verschlossen und kummervoll, als litte er tatsächlich unter dem größten, tiefsten Schmerz. Unwillkürlich griff sie nach seiner Hand und schloss fest die Finger darum, um ihm all ihren Trost zu bieten, der sein Leiden lindern mochte.
„Verzeihen Sie mir, Mistress“, sagte der Wirt, der schnell ihre ineinander verschlungenen Hände bemerkt hatte – wenn er auch nicht genauso schnell seine Verwunderung verbergen konnte. Er hob ein wenig die Brauen, während er ihre zerknitterte, wollene Reisekleidung musterte und offen erkennen ließ, dass sie die Aufmerksamkeit des Earl of Atherwall wirklich nicht verdiente. „Ich wusste nicht, dass Sie in Begleitung Sei ner Lordschaft sind.“
„Oh, Miss Potts kennt mich noch länger als Sie, Connor“, erklärte Harry und schlang die Finger noch fester um ihre. Es war eine Anerkennung ihrer Geste und ebenfalls ein Trost. „Freunde seit Kindertagen, könnte man sagen.“
Wenn es für sie auch völlig unerwartet kam, so war Harrys Hand in der ihren tatsächlich ein Trost. Ein Trost, den sie mehr vermisst hatte, als ihr bewusst gewesen war. Die einzigen Hände, die sie zurzeit hielt, waren Kinderhände. Wieder Harrys vertraute Berührung zu spüren, seine Finger zu fühlen, wie sie stark und sicher ihre Hand umfassten, sie beide miteinander verbanden, erfüllte sie schlagartig mit Lust, ein Gefühl, von dem sie geglaubt hatte, es verdrängt zu haben.
Doch es schickte sich nicht für sie, von ihm Trost oder gar Lust hinzunehmen, und so entzog sie ihm vorsichtig, wenn auch widerstrebend, ihre Hand.
„Wie Seine Lordschaft schon sagte, Mr. Connor, sind wir Freunde, aber nicht mehr“, erklärte sie entschieden und dachte daran, wie viele Frauen Harry wohl schon vor ihr hierher gebracht haben musste. „Wirklich nicht mehr.“
Doch Connor hörte ihr gar nicht zu. „Vielleicht können Sie die Dame zur Einsicht bringen, Mylord. Wir haben heute Abend hier ein großes Hochzeitsfest. Alle aus der Grafschaft sind gekommen, um zu feiern. Und auch wenn diese
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