Geliebte Gefangene
Vaters erinnerte und den Earl so als eine weitere Verteidigungslinie benutzte. Als Malvoisier eines Nachts betrunken und wütend in ihre Kammer gestürmt war, ohne Zweifel um ihr Gewalt anzutun, hatte sie sogar König Charles’ Namen benutzt. Das hatte ausgereicht, um die Angst des Generals vor Vergeltung zu wecken, und er war, ihren Namen verfluchend, die Stufen wieder hinuntergestolpert. Danach hatte er nie wieder versucht, sie zu berühren. Noch hielt ihr Widerstand, aber sie fühlte sich in steter Bedrängnis. Es war so erschöpfend, dass sie vermutlich eines Tages nicht mehr würde standhalten können. Aber nicht jetzt. Nicht an diesem Abend.
„Wir beten alle für die Genesung des Herrn, Madam“, kam Johns Stimme, und Malvoisier warf ihm einen mordlustigen Blick zu, bevor er sich abrupt umdrehte und zur Tür stolzierte.
„Sorgt dafür, dass Henry Greville in ein paar Stunden bereit ist, sodass ich ihn für Verhandlungen benutzen kann“, zischte er über seine Schulter. „Was Euch andere angeht, könnt Ihr von mir aus alle zur Hölle fahren.“
Wütend warf er die Tür hinter sich ins Schloss, und sie konnten seine lauten Schritte hören, bis er den Fuß der steinernen Treppe am Boden des Turms erreicht hatte. Für ein paar Sekunden herrschte Stille, dann schlich Edwina zur Tür hinüber und öffnete sie einen Spalt weit. Das Licht der Laterne fiel in das leere Treppenhaus. „John, hol bitte etwas heiße Milch für die Herrin aus der Küche“, sagte sie. Sie kam wieder herüber und nahm Annes eiskalte Hände in die ihren. „Ihr seid völlig durchgefroren, Liebes, und viel zu blass. Kommt schnell ans Feuer.“
Anne ließ sich näher an die Flammen ziehen. Sie zitterte, als sie sich erinnerte, dass Simon Greville ihr noch vor keiner Stunde dieselbe Anweisung gegeben hatte. Von dem Moment, als sie den Stall betreten hatte, hatte sie sich fiebrig gefühlt, abwechselnd heiß und kalt, als hätte sie Schüttelfrost. Zum Teil war ihre Aufregung ihrem Schuldbewusstsein entsprungen. Sie hatte ein deutliches Gefühl der Illoyalität, als sie zu ihm gegangen war, um über Graftons Schicksal zu verhandeln. Aber es war das Einzige gewesen, was sie hatte tun können, um alle zu retten, die von ihr abhängig waren. Nun musste sie ihnen sagen, dass sie versagt hatte. Schützend schlang sie die Arme um den Körper, als sie sich vorstellte, welche Verzweiflung der Kampf nach sich ziehen würde.
Simon Greville … Sie hatte geglaubt, dass es beunruhigend wäre, ihn wiederzusehen. Sein Ruf als kluger und kaltblütiger Stratege war ausreichend, um Angst in den Herzen aller Männer und Frauen zu wecken, die es wagten, sich ihm entgegenzustellen. Kalt, überlegt und vollkommen skrupellos war er Gerard Malvoisier mehr als gewachsen. Aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass die Anziehungskraft, die sie vor vier Jahren gefühlt hatte, zurückkehren würde, nun viel mächtiger und gefährlicher, da er ihr Feind war …
Muna berührte sie am Arm. „Hast du Lord Greville getroffen, Nan?“, flüsterte sie. Mit ihren großen dunklen Augen wirkte die kleine und zierliche Muna, als würde sie bei dem ersten kühlen Lüftchen schon krank werden, aber sie war stärker als sie aussah. Als illegitime Tochter des jüngeren Bruders des Earls war Muna in den Haushalt in Grafton aufgenommen worden, als ihr Vater starb, und an Annes Seite erzogen worden. Anne hatte keine anderen Geschwister, und die Zuneigung ihrer Cousine war ihr sehr wichtig.
Ein wenig traurig lächelte Anne sie an. „Ich habe ihn getroffen, Muna. Und ich habe ihm gesagt, dass sein Bruder noch am Leben ist.“ Sie zögerte. „Er war sehr erleichtert über diese Nachricht.“
Muna entschlüpfte ein kleiner Seufzer.„Und was für ein Mann ist aus ihm geworden, Nan? Ist er wie Sir Henry?“ Eine leichte Röte überzog ihr Gesicht, als sie Henrys Namen nannte, und Edwina fing Annes Blick auf und verdrehte nachsichtig die Augen. Die zärtliche und respektvolle Werbung von Henry Greville um Muna bestand bisher aus nichts mehr als Liebesgedichten und Händchenhalten, was, wie Anne fand, genau der richtige Weg war. Die bodenständigere Edwina hingegen schnaubte nur verächtlich über die Sonette und lachte über die schlechte Lyrik, die Henry geschrieben hatte. Aber Anne, der die Berührungen Simon Grevilles nur noch allzu gut im Gedächtnis standen, war nun beinahe froh, dass Henry sich kaum rühren konnte. Denn sollte seine Werbung sonst so direkt wie Simons
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