Geliebte Gefangene
so stolz auf ihre Prinzipien und ihre Loyalität gewesen. Sie hatte nicht begriffen, dass der König bei seinem Kampf um den Thron selbst keine Rücksicht auf all dies nehmen konnte. Und das Schrecklichste war, dass sie sich trotz allem noch immer an ihr Versprechen gebunden fühlte. Sie würde Elizabeth, ein unschuldiges Kind, nicht opfern, und der König hatte das gewusst. Er war sich sicher, dass sie ihm trotz allem die Treue halten würde.
„Anne?“
Erst jetzt merkte sie, dass sie weiter gelaufen war, als sie gedacht hatte. Sie stand in dem ummauerten Garten mit der Sonnenuhr, in dem Simon und sie sich vor vier Jahren getroffen hatten. Und Simon war auch da. Durch ihre Tränen sah sie ihn nur als verschwommenen Umriss, aber sie hörte die Besorgnis in seiner Stimme.
„Was ist passiert?“, fragte er. „Ich habe Euch auf der Wiese mit meinem Vater sprechen sehen. Hat er …“ Simon zögerte. „Ich dachte, er wollte Euch Zuflucht in Harington anbieten“, fuhr er schließlich fort. „Aber Ihr könnt den Gedanken doch unmöglich so schrecklich finden.“
Anne musste trotz ihrer Tränen lachen. „Nein, Mylord. Es ist nicht Euer Vater, der mich unglücklich gemacht hat.“ Sie rieb sich mit dem Handrücken über die Augen. „Mir ist nur bewusst geworden, dass ich sehr dumm war“, fügte sie ein wenig verloren hinzu. Sie sah zu ihm hin und wandte dann schnell wieder den Blick ab.„Ihr Vater hat mir erzählt, dass der König darüber nachgedacht hat, Grafton als Verhandlungsbasis zu benutzen und die Erklärung der Niederlage selbst zu unterschreiben.“ Sie schluckte schwer. „Er hat mir gesagt, dass das Politik ist. Politik! Und ich dachte die ganze Zeit, es ginge um Vertrauen.“
Simon antwortete nicht sofort. Stattdessen nahm er ihre Hand und führte Anne zu der Bank, die im Schutz der südlichen Mauer stand. Er zog Anne neben sich auf den Sitz und behielt ihre Hand tröstend in der seinen. „Es tut mir leid“, sagte er nach einem Moment. „Ich weiß, dass Euch das verletzt haben muss.“
Anne nickte. „Ich bin so dumm gewesen.“ Sie fühlte sich verraten. Auch wenn König Charles Grafton nicht in den Verhandlungen benutzt hatte, lag der Grund einzig darin, dass er Angst vor dem hatte, was sie tun könnte, wenn er es doch wagte.
„Ihr habt den Schatz des Königs“, fuhr Simon nach einer Weile fort, und seine Miene verriet, dass er verstanden hatte. „Er konnte es sich nicht erlauben, Euch zu verärgern.“
„Ja.“ Anne wurde bewusst, dass sie Simon gegenüber zum ersten Mal zugegeben hatte, den Schatz hier in Grafton zu ha ben. Aber er drängte sie nicht, mehr preiszugeben, wofür sie ihm sehr dankbar war. „Ich glaube“, sagte sie vorsichtig, „dass er mein Leben und mein Land ohne einen weiteren Gedanken aufgegeben hätte, wenn das nicht der Fall gewesen wäre.“
„Sicher nicht ohne Bedauern“, warf Simon ein, „aber ganz sicher, um das höhere Ziel zu erreichen.“
Anne warf ihm einen funkelnden Blick zu. „Ich vermute, Ihr hättet es auch getan“, sagte sie in plötzlicher Wut.
„Nicht ohne Bedauern“, wiederholte Simon. Der Hauch eines Lächelns spielte um seinen Mund. „Anne, es herrscht Krieg …“
„Oh, ich weiß“, sagte sie bitter, „und in einem Krieg werden Menschen verletzt. Offensichtlich bin ich zu dumm für solche politischen Spiele.“
„Setzt niemals Eure eigene Loyalität herab, nur weil die Menschen um Euch herum nicht Eure Integrität haben.“ Der Griff seiner Hand wurde fester. „Wir sind diejenigen, die nicht an Euer Vorbild heranreichen, nicht andersherum.“
Es war lange still, und dann sagte Anne steif: „Es stimmt, dass Onkel Fulwar mir ein Heim in Harington angeboten hat. Das ist sehr freundlich von ihm, aber dort gehöre ich noch weniger hin als hier. Also …“, sie warf ihm einen Blick von der Seite zu, „ … wenn Ihr noch zu Eurem Heiratsantrag steht, Mylord, würde ich ihn gerne annehmen.“
Simon schwieg angespannt. „Ich wünschte“, sagte er plötzlich heftig, „dass es anders wäre, Anne. So sollte es nicht sein.“
Sie drehte sich zu ihm und sah ihn an. „Und wie sollte es sein?“, flüsterte sie.
Simon neigte den Kopf. Seine Lippen berührten sanft und voller Vorsicht die ihren. Anne fühlte, wie sich ihr Atem mit dem seinen vermischte, als seine Zunge sich weiter vorwagte und um eine Antwort von ihr warb. Ein unwiderstehliches Gefühl des Verlangens ließ sie dahinschmelzen. Sie legte eine Hand gegen seine Brust
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