Geliebte Korsarin
Mary-Anne.
Am Haupthafenbecken quietschte ein alter Kran und lud Fässer mit Rohzuckermelasse in ein englisches Frachtschiff. Lastwagen karrten Mahagonibretter zum Hafen. Mit Sattelschleppern kamen Baumstämme an, die man aus den undurchdringlichen Urwäldern im Innern von Belize über die Flüsse mit großen Flößen herangebracht hatte: bestes Material, das man in Europa oder den USA zu Furnierhölzern verarbeiten würde.
Dieser Hafen war Belizes einziges Tor zur Welt, und hier konnte man auch den bescheidenen Reichtum des Landes besichtigen. Ein kleiner Flugplatz war völlig bedeutungslos, weil er für den internationalen Flugverkehr überhaupt nicht ausgebaut war. Wer im Flugzeug nach Belize reisen wollte, kam in Propellermaschinen von Guatemala oder von Mexiko aus, seltener von Kuba oder Jamaika. Ein Jet aus Florida mit besonders kurzer Lande- und Startmöglichkeit galt als kleine Sensation. Er landete monatlich einmal, damit sein Besitzer, ein gewisser Mr. David Sylverstone, Fernando Dalques die Hand drücken konnte. Sylverstone betrieb in Tampa ein Ex- und Importgeschäft für ›Kunsthandwerk primitiver Völker und Häute tropischer Tiere‹.
»Aus Dummheiten lernen wir«, sagte Fernando weise und legte den Arm um Mary-Annes Schultern.
Rainherr bemerkte das mit gerunzelter Stirn. Er konnte diese Demonstration verstehen: ›Das ist mein Recht!‹
»Jim hat mir über Funk alles berichtet. Ich halte es für einen Fehler, das Boot dieses Deutschen nicht sofort zu versenken!«
»Das hat einen Haken!« warf Rainherr ein.
»Habe ich mit Ihnen gesprochen?« bellte Fernando ihn sofort an. »Und vorweg eine Klarstellung: Wenn Sie irgendwo einen Polizisten sehen – da hinten stehen beispielsweise zwei – und die Absicht haben sollten, Lärm zu schlagen oder um Schutz zu ersuchen … das ist vergeblich!«
»Weil Sie alle gekauft haben. Das ist mir klar.«
»Ich unterstütze die Familien. Die Polizistengehälter sind miserabel.«
»Sie großzügiger Mensch! Ich möchte Sie gern einmal an meine Brust drücken! Man findet solche Wohltäter selten in unserer korrupten Welt! Ich bin gerührt, Don Fernando.«
»Ich habe den Eindruck, daß Sie die Lage, in der Sie sich befinden, völlig verkennen.«
»Durchaus nicht! Zum erstenmal stehe ich auf dem Boden von Belize und finde alles hier durchaus romantisch. Das große Riff kenne ich bereits, die Cays, die herrlichen Sandstrände und das klare, saubere Wasser. Eines der letzten glücklichen Länder, die sich vom internationalen Kapital isolieren.«
Fernando Dalques wandte sich kurz zu Mary-Anne. »Hast du da einen Verrückten mitgebracht?« fragte er unsicher.
»Er hat mir das Leben gerettet.«
»Nun, sagen wir, er hat Erste Hilfe geleistet. Wir werden die Wunde sofort von Dr. Ynares nachsehen lassen.« Dalques drehte sich zu Dr. Rainherr um und zeigte auf einen großen amerikanischen Luxuswagen, der im Schatten von zwei Lagerschuppen parkte.
»Gehen wir?«
»Aber gern. Ich hätte nichts dagegen, jetzt einen kühlen Trunk zu nehmen.«
»Gehen Sie voraus!«
»Bitte. Nehmen Sie an, ich laufe Ihnen zum Fluß davon, um auf einem Krokodil nach Guatemala zu reiten? Ich akzeptiere, daß ich ein gekaperter Gefangener bin. Sie werden schon sehen, was Sie sich damit eingehandelt haben!«
»Schweigen Sie, Andreas!« sagte Mary-Anne, diesmal auf englisch. »Warum wollen Sie ihn durchaus in Weißglut bringen?«
»Weil er genau der Typ ist, auf den ich fliege! Ich möchte ihn pausenlos sonstwohin treten!«
Rainherr ging voraus zu dem Wagen und strich mit der Hand über den silberglänzenden Lack. Fernando stieg ein und ließ durch einen Knopfdruck das Dach irgendwo in der langen Karosserie verschwinden. Rote Lederpolster leuchteten in der Sonne. Ein neuer Knopfdruck, und aus vier unsichtbar eingebauten Lautsprechern ertönte Tanzmusik.
»Seefahrt bringt etwas ein; der Wagen überzeugt mich!« sagte Rainherr. »Ich glaube, Don Fernando, Sie haben eine Marktlücke entdeckt! Es ist eigentlich rätselhaft, warum die Piraterie jahrhundertelang in Vergessenheit geraten ist.«
Er setzte sich auf die hintere Polsterbank, während Dalques und Mary-Anne vorn Platz nahmen.
»Die Antwort ist einfach.« Fernando fuhr an und verließ in schneller Fahrt das Hafengebiet. Den Motor hörte man kaum – zwölf Zylinder, die fast geräuschlos arbeiteten. »Noch nie seit Ende des Zweiten Weltkrieges wurde soviel Reichtum öffentlich zur Schau getragen und damit geprotzt wie heute. Es ist
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