Geliebte Korsarin
wundert es, daß Rum, künstlerische Tätigkeit und erotische Akrobatik eine Frau im reifen Alter von Señora Palmar in tiefen Schlaf fallen ließen?
So geriet der junge schüchterne José an Mary-Anne. Er suchte in den Schablonenzeichnungen einen harmlosen Anker mit Schlange aus und hielt seinen rechten Unterarm hin.
»Es tut nicht weh«, sagte Mary-Anne zu ihm. »Du merkst gar nichts davon. Nur ein Kribbeln. Wir machen das mit den modernsten elektrischen Nadeln und bei örtlicher Betäubung. – Auf welchem Schiff bist du?«
»Auf der ›Lutezia‹.«
»Und wem gehört das?«
»Einem stinkreichen Kerl. Amerigo Tabora …«
Mary-Anne starrte auf die Tätowiernadel, die leise zwischen ihren Fingern summte. Plötzlich spürte sie jeden Stromstoß in dem verchromten Handgriff.
»Tabora …?« fragte sie langsam. »Amerigo?«
»Sie kennen ihn, Señorita?«
»Nie gehört.«
»Macht in Öl und Smaragden. Er kann gar nicht soviel ausgeben, wie er täglich verdient. Irgendwo in den Bergen sprudelt sein Öl aus der Erde …«
»Irgendwo in den Bergen …«, wiederholte Mary-Anne leise. »Das ist ja toll. Gib den Arm her, José … es tut nicht weh. Bestimmt nicht! Es gibt Dinge, die viel mehr weh tun …«
Sie setzte die Nadel an, um die Umrisse des Ankers in die junge Haut zu ritzen. »Wo liegt denn das Schiff?«
»Im Dock zwei. An der Schraube ist was. Wir bleiben drei Tage hier.«
»Drei Tage. Und Don Amerigo?«
Es fiel ihr unendlich schwer, Don zu dem Mörder ihrer Familie zu sagen.
»Wird wohl von Bar zu Bar ziehen! Was soll er denn auch anders tun?« Der Junge lachte verschämt. »Wenn er nicht gerade bei einem Mädchen liegt, säuft er oder hört Schallplatten und Tonbänder. Er hört besonders gern amerikanische Musik aus Musicals.«
José sah zu, wie die elektrische Nadel sich mit dem Farbstoff in seine Haut fraß. Der Anker wurde blau, die Schlange, die sich darum wand, grün.
»Das wird aber schön, Señorita«, sagte er. »Sie können das gut.«
Am gleichen Abend erschienen in Madame Palmars Salon noch zwei alte Kunden, und damit hatte das Schicksal auf einmal dreifach zugeschlagen: Fernando Dalques machte seine Aufwartung, um Mary-Anne wieder einmal zum Fischessen einzuladen.
Er war sehr erfolgreich gewesen und hatte einem amerikanischen Touristen eine Geldbörse mit 1.245 Dollar aus der Hosentasche gezogen und sofort in kolumbianische Währung umgewechselt. Für eine kurze Zeit war er nun reich und konnte es sich leisten, seine stille Liebe Mary-Anne einzuladen.
Fast unmittelbar nach Dalques erschien auch Jim McDonald im ›Salon‹, um Mary-Anne die Hand zu drücken und ihr zu erzählen, daß der ›Sonnenuntergang im Meer‹ auf seinem Rücken in der ganzen Welt Bewunderung erregt hatte.
»Die Weiber sind verrückt danach!« brüllte er mit seinem dröhnenden Baß. »Ihre Chefin hatte recht! Wenn ich meinen hinteren Sonnenuntergang zeige, gehen vorn die Röcke von allein hoch!«
Mary-Anne blickte ihre beiden Besucher still und nachdenklich an. Sie saßen nebeneinander … ein roter Riese mit einem Urwald im Gesicht, und ein mittelgroßer, schlanker eleganter Mann, der alles sein konnte … vom Gigolo bis zum Subdirektor einer Privatbank.
Die beiden Männer beäugten sich gegenseitig voller Mißtrauen, denn jeder war offensichtlich in Mary-Anne verliebt und wünschte den anderen zur Hölle.
»Ihr seid doch meine Freunde«, sagte Mary-Anne plötzlich.
Jim und Fernando zuckten zusammen und riefen im Chor: »Das weißt du doch, Mary-Anne!«
»Meine besten Freunde …«
»Immer!« brüllte Jim zuerst.
»Mein Herz liegt dir zu Füßen!« fügte Fernando poetisch-spanisch hinzu.
»Dieses winzige Mäuseherz!« schrie McDonald übermütig. »Für dich steht ein Mann bereit, Darling, der vier Zentner heben kann und dabei noch den River-Kwai-Marsch pfeift!«
»Ich brauche von euch weder Herz noch Kraft – sondern nur euren Mut!«
»Ist vorhanden in jeder Form!« grölte Jim.
»Was darf es sein, Mary-Anne?« fragte Fernando galant.
»Im Dock zwei liegt ein Schiff, die ›Lutezia‹. Es wird eine Reparatur an der Schiffsschraube ausgeführt. Das Schiff gehört einem gewissen Don Amerigo Tabora …«
Sie sprach den Namen aus und wunderte sich, daß ihre Stimme dabei nicht zerbrach.
Die beiden sahen sich kurz an und blinzelten sich zu. Was soll das? Was haben wir mit Schiffsschrauben zu tun?
»Soll ich die Schraube klauen?« fragte Dalques endlich, als Mary-Anne nicht
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