Geliebte Korsarin
weitersprach.
»Das Schiff bleibt drei Tage im Dock …«, fuhr Mary-Anne langsam fort. Sie blickte dabei hinaus auf die Straße, die hinunter zum Hafen führte. Eine Querstraße, eng und laut. Kneipe stand an Kneipe, Bordell an Bordell …
Wir könnten eine der reichsten Familien Südamerikas sein, dachte sie, und glücklich! Ein einziger Mann hat das alles ausgelöscht. Wenn ich jetzt zur Polizei gehe, nach vier Jahren … man würde mich auslachen! Und bevor ich die Beweise bringen kann, wird Raimondo Vargas auch mich getötet haben.
»Drei Tage liegt es hier …«, wiederholte sie so ruhig, daß sie Angst vor ihrer eigenen Stimme und vor ihrer inneren Kälte bekam.
»Ich möchte, daß Amerigo Tabora nach diesen drei Tagen sein Schiff nicht mehr betritt.« Sie blickte Dalques und McDonald voll an und bemerkte ihr unverhohlenes Staunen. »Ich möchte, daß Amerigo Tabora in diesen drei Tagen getötet wird.«
»Weiter nichts?« fragte endlich Jim rauh und wühlte in seinem roten Haarwald.
»Das ist alles?« fragte auch Fernando, ein wenig säuerlich.
»Ja, das ist alles!« antwortete Mary-Anne.
»Und warum?«
»Das kann ich euch nicht so einfach erklären …«
»Hat er dir die Unschuld geraubt?« schrie Jim.
»Mehr als das, Jim …« Sie lächelte schwach.
»Nun, ich bin kein Mörder«, sagte Fernando Dalques rauh. »Ich greife wohl in Taschen und Röcke, aber direkt töten …«
»Und ich habe bisher nur Fische geschlachtet, Schafe, Schweine … kurz, eben Tiere.«
»Dieser Mann ist weniger als ein Tier. Was macht ihr mit einer Wanze?«
»Ich zerdrücke sie!« rief McDonald und lachte.
»Dann tue jetzt dasselbe. Amerigo Tabora ist nicht einmal eine Wanze.« Sie stand auf und ging zur Tür. Die beiden starrten ihr nach. »Überlegt es euch! Ich bin ein Freund, das kann jeder sagen, das ist unverbindlich.«
Beim Hinausgehen drehte sie sich noch einmal um.
»Und ihr belastet euer Gewissen nicht, ein Mörder zu sein! Es ist kein Mord, und ihr seid keine Mörder! Ihr vollzieht nur eine vergessene Gerechtigkeit. Das ist alles …«
Die Tür klappte zu.
Fernando Dalques und Jim McDonald saßen allein im Wartezimmer des ›Salons‹. Sie stierten auf den Linoleumfußboden, atmeten ein wenig lauter als sonst und bedachten ihre Lage.
»Dock zwei …«, sagte Fernando endlich.
»Amerigo Tabora heißt er.« Jim faltete die riesigen Hände. »Ich tue es nicht. Nein, so etwas tue ich nicht.«
»Ich auch nicht. Ich bin ein ehrbarer Taschendieb!« sagte Fernando. »Töten ist eine Spezialität für sich. Gehen wir.«
»Ja, gehen wir.« McDonald stampfte zur Tür. »Ich will mich an solche Sachen gar nicht erst gewöhnen …«
Zwei Tage später fand man den Millionär Tabora in der Gosse einer verrufenen Hafengasse. Morgens, gegen vier Uhr, entdeckten ihn zwei Huren, die von Privatkundschaft zurückkamen. Wie ein getöteter, streunender, räudiger Hund lag Raimondo Vargas im Dreck.
Die Polizei und der Polizeiarzt stellten fest, daß man Don Amerigo ganz einfach den Schädel eingeschlagen hatte. Die Schädeldecke war so eingedrückt, und der Schlag war so stark gewesen, daß Amerigos Gehirn voller Knochensplitter steckte. Von seinem Ableben hatte er kaum etwas gespürt … ein Knall im Gehirn und dann ewige Nacht.
Der Fundort war auch der Tatort, denn in der Gosse hatten sich Blut und herausgetretene Hirnmasse angesammelt.
Die Sensation war naturgemäß groß, nicht nur in Cartagena, sondern in ganz Kolumbien. Am meisten aber in Texas, genauer in Houston, denn da Amerigo als Alleinerbe des Riesenvermögens galt und die ›Gesellschaft‹ unbekannt im Hintergrund kassierte, war auf einmal alles wieder zur freien Verfügung des Staates Kolumbien … die Ölquellen und die Smaragdmine.
Denn nun gab es endgültig keine Erben mehr – die Taboras waren ausgelöscht.
Wohl erkannte man später an, daß eine Finanzgruppe in Texas mit Amerigo Tabora einen Vertrag hatte, aber das ganz große Geschäft machte allein der kolumbianische Staat. Die Texaner rangierten nur am Rande mit 10 %.
Es hatte auch keinen Zweck, daß die ›Gesellschaft‹ in Houston für die Aufklärung des Mordes an Amerigo Tabora, lies Raimondo Vargas, 10 Millionen Dollar aussetzte – die höchste Kopfquote, die jemals in der amerikanischen Unterwelt geboten wurde.
Es gab keinen Mörder. Nicht einen Hauch von einem Mörder, nicht einen Schatten … Es war, als habe eine unbekannte Macht dem Don Amerigo die Schädeldecke
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