Geliebte Korsarin
… wer sonst, weiß ich nicht. Ich habe das Schiff nicht betreten, weil ich … weil ich diese Miss Tabora nicht leiden mochte. Und nun – plötzlich, über Nacht – sind das Schiff, Paps und Juan spurlos verschwunden! Darum rufe ich an, Onkel Howard. Ich habe Angst um Paps! Er ist niemals freiwillig auf dieses Schiff gegangen …«
Sir Betford schnaufte, drückte ein paar Knöpfe auf seinem Schreibtisch und rief seine Mitarbeiter zusammen.
»Keine Aufregung, my little girl«, sagte er tröstend in den Hörer. »Das haben wir gleich! Was wir tun können, wird in wenigen Minuten geschehen! So wild die Karibik auch ist – wir haben sie doch unter Kontrolle! Annette, hatte das Schiff einen Namen?«
»Ja, und einen merkwürdigen dazu. Es hieß ›Altun Ha‹!«
»Das kommt ja aus der Mayasprache. Und welche Flagge?«
Annette überlegte. Welche Flagge? Sie hielt den Atem an, als sie sich selbst diese Frage beantwortete.
»Keine Flagge, Onkel Howard. Ja, bestimmt … Das Schiff hatte keine Landesflagge gesetzt. Das fällt mir jetzt erst ein – aber ich erinnere mich genau …«
»Ist das eine Sauerei!« schrie Sir Betford.
Er hatte während des Telefonats die ersten Morgenmeldungen bekommen. Sein Adjutant schob sie ihm über den Tisch zu, und Sir Betford klemmte sein Monokel ein. Obenauf lag die sensationellste Meldung:
»Das Gespenst der Karibik hat wieder zugeschlagen. Millionärsyacht auf der Serrana Bank westlich Nikaragua überfallen und total ausgeraubt. Keine Toten. Piraten gehen mit neuen Mitteln vor. Sie verwenden ein neues Kampfgas, das ungefährlich ist und nur betäubt. Beute des dreisten Überfalls: Ca. 4 Millionen Dollar, wie der Eigner, Mr. Swastburry aus Jamaika, angibt. Keine Spuren. Als die betäubten Yachtgäste aufwachten, war die Piratenyacht längst verschwunden.«
Sir Betford schob die Meldungen zur Seite und ließ das Monokel sinken.
Wer konnte schon ahnen, daß Jim McDonald mit Rainherrs Schiff ANNETTE I auf seiner Fahrt nach Saba noch ein paar Privatgeschäfte nebenbei tätigte und die Gelegenheiten, die auf der Strecke lagen, mitnahm? Man war zu lange in diesem Geschäft, um an dümpelnden Millionärsyachten achtlos vorbeizufahren. Ein Mann, Seefahrer und Pirat wie McDonald, brachte das einfach nicht übers Herz …
»Ich gebe sofort Alarm, little girl«, sagte Sir Betford ins Telefon, als nacheinander seine engsten Mitarbeiter hereinkamen und sich um seinen Tisch versammelten. »Du hast vollkommen recht, deinen Onkel Howard anzurufen! So ein Benehmen ist nicht deines Vaters Art! Da steckt etwas anderes dahinter! Keine Sorge, mein Kleines … Onkel Howard kümmert sich darum …«
Und er kümmerte sich!
Mit diesem Telefonat kam eine Aktion in Gang, die alle Ereignisse dramatisierte. Was nichts war als eine Flucht in die Liebe, wurde zu einer großen diplomatischen und militärischen Aktion.
Das erste, was Sir Betford hinausschickte, war eine Radiomeldung: »Gesucht wird die Motoryacht ›Altun Ha‹. Es besteht Verdacht auf Entführung. Wer dieses Schiff sieht, melde es sofort an das Gouvernement Grand Cayman. Alle Schiffe Ihrer Britischen Majestät sind hiermit aufgefordert, die ›Altun Ha‹ an der Weiterfahrt zu hindern.«
Als zweites begann das Spiel auf diplomatischer Ebene: ein Ersuchen um Amtshilfe. Die Nachfrage: In welchem Staat ist die ALTUN HA registriert?
Schon nach einer Stunde wußte Sir Betford Bescheid: Das Schiff war in Belize gemeldet und gehörte einem gewissen Don Fernando Dalques. Reicher Besitzer einer Exportfirma für Häute und Eingeborenenkunst.
Eine Joanna Tabora war dagegen völlig unbekannt.
Eine halbe Stunde später lief aus Belize ein Telex ein. Don Fernando Dalques meldete seine Yacht ALTUN HA als gestohlen! Unterschrift: Dr. Casillas, Syndikus der genannten Exportfirma.
»Das ist ein dicker Hund!« sagte Sir Betford zu seinen Mitarbeitern. »Eine gestohlene Yacht entführt meinen Freund Dr. Rainherr! Das heißt: Er kommt mit dieser Yacht zu Hause an und verschwindet in der gleichen Nacht wieder! – Meine Herren, ich habe es Ihnen oft gesagt, und Sie lächelten nur darüber. Auch heute noch ist in der Karibik alles möglich, was sonst nirgends mehr möglich wäre! Wir leben an einem Meer, das ohne diese Abenteuer austrocknen würde! Lassen Sie Marineflieger starten! Die ›Altun Ha‹ entkommt uns nicht!«
XV
In den nächsten Stunden gab es zwischen Mexiko und den Bahamas, Kuba und den Antillen, Venezuela und Haiti keine andere
Weitere Kostenlose Bücher