Geliebte Myriam, geliebte Lydia
Geschrei, und jeder versuchte die anderen zu unterbieten. Schließlich schrie einer: 'Eighty!', und jetzt schwiegen die anderen betroffen und zogen sich blitzartig zurück. Ich sagte rasch: 'Eighty, okay!', nahm den Koffer wieder auf und folgte dem freudestrahlenden Gewinner zu seinem Taxi, und das gleiche machte Götzinger vulgo Götzi.
Das Taxi erwies sich zwar bei näherem Zusehen als uralte Kiste, aber es fuhr, und das war ja schließlich die Hauptsache. Und wie es fuhr! Genau die Straße mit den pyramidenförmig zugestutzten Bäumchen auf dem Mittelstreifen ging's jetzt wieder zurück, aber um einiges flotter als vorhin mit dem Bus; ich warf hie und da einen verstohlenen Blick auf den Tacho, und jedesmal zeigte die Nadel mehr als 100 - einmal sage und schreibe 125! Und das innerorts, das bei strömendem Regen, so daß die Mopedfahrer und Eseltreiber, die wir überholten, und auch die Fußgänger, die teilweise gezwungen waren, auf der Fahrbahn zu gehen, regelmäßig in den Genuß einer Wasser- und Schlammfontäne kamen. Zebrastreifen gab's zwar, aber die dienten allem Anschein nach lediglich zur Dekoration. Nur vor roten Ampeln drosselte unser Superbursch sein Tempo auf 40 oder 50 Stundenkilometer. Dafür gerieten wir kurz vor der längeren von den beiden Nilbrücken in einen Riesenstau, und nun mußte er schon froh sein, wenn's überhaupt weiterging. Er war aber offenbar einer von der unbeschwerteren Sorte und versuchte uns und wohl auch sich selber jetzt bei Laune zu halten, indem er mit uns ein Gespräch anknüpfte, und zwar in vier Sprachen: erstens auf arabisch, zweitens auf englisch - oder was er halt unter Englisch verstand -, drittens mit Händen und viertens mit Füßen. Oder so ähnlich. Dafür brachte er uns zwei arabische Wörter bei. Er reichte uns nämlich mehrere Fotos nach hinten, und die zeigten alle dieselbe rassige Schönheit, und dazu rief er wiederholt 'habíbi', und dazu schmatzte er mit den Lippen und zog mit der rechten Hand wunderschöne Kurven nach, und ein paarmal klopfte er sich tatsächlich zwischen die Beine und sagte dazu jedesmal 'áschara - ten'. Also, ganz offenkundig bedeutete 'habíbi' 'mein Schnuckiputzi' oder sowas Ähnliches, und 'áschara' - was immer konkret damit gemein war - konnte nichts anderes als 'zehn' heißen.
Naja. Nach den beiden Brücken über die zwei Nilarme ging's dann wieder flotter dahin, immer auf der Straße, auf der wir kurz zuvor in der Gegenrichtung gefahren waren, und erst auf der Höhe der Zitadelle gleich hinter dem erwähnten Slum bog er rechts ab und fuhr in eine Schlucht zwischen zwei Wüstenbergen hinein. Dabei deutete er auf die Berge und sagte dazu: 'Gebel el Mokáttam!' Ah - Mokattam! So hieß es ja auf der Adresse! Also waren wir hier offenbar richtig. Es dauerte nicht lang, und wir hatten ein ausgedehntes Bergplateau erreicht und sahen uns einer ausgedehnten Ansiedlung gegenüber, die ich hier heroben gar nicht vermutet hätte. Bei genauerem Hinsehen erkannte man aber leicht, daß es sich eigentlich um zwei aneinander angrenzende Ansiedlungen handelt: rechts, schon auf dem Abhang, ein offenkundiges Nobelviertel, bestehend aus lauter einzelnen Villen, jeweils inmitten eines von einer Mauer umgebenen Gartens; links hingegen erneut ein typischer Slum, bestehend aus Wellblech- und Ziegelhütten.
Unser Fahrer hielt jetzt neben einer Menschengruppe an, verlangte von mir den Zettel mit der Adresse, machte die Leute auf sich aufmerksam und hielt ihnen meinen Zettel unter die Nase. Der Erfolg dieser Aktion war zunächst einmal ein Riesenpalaver unter den Angesprochenen, und dann wandten sie sich unserem Fahrer zu und redeten alle gleichzeitig auf ihn ein und fuchtelten dabei mit ihren Armen in alle möglichen Richtungen. Nun gut, er fuhr nach einiger Zeit weiter und wiederholte seine Aktion, und so ging das noch ein paarmal. Aber schließlich und endlich fanden wir die gesuchte Adresse doch, und wir hielten vor einem Gebäude, das bedeutend größer und stattlicher wirkte als die übrigen Hütten, und neben dem Eingang war tatsächlich ein Schild angebracht, auf dem außer einer arabischen Inschrift in lateinischen Lettern zu lesen war: 'Centre Médico-Social „Mahabba“ (Mahabba = Amour)'.
Wir wiesen den Fahrer an, ja auf uns zu warten, aber das war natürlich vollkommen überflüssig, denn sein Geld würde er sowieso erst bei unserer Rückkehr ins Hotel kriegen; und dann stiegen wir aus und läuteten an der Türklingel. Nach einiger Zeit
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