Geliebte Myriam, geliebte Lydia
unendlich zärtlicher Stimme, und zwar auf deutsch: 'Schatzilein, warum schreist du denn so?' Und das war nun eindeutig Lydias Stimme, und mir wurde bewußt, daß ich das alles zum Glück nur geträumt hatte und in Wirklichkeit mit meiner neugefundenen Liebsten im Bett lag. Und da überflutete mich ein tiefes Gefühl der Zuneigung und der Leidenschaft, und ich umarmte sie und drückte sie eng an mich und küßte sie und spürte, daß sie meine Leidenschaft erwiderte, und küßte sie von neuem und liebkoste sie am ganzen Körper, und sie erwiderte meine Liebkosungen, und wir versanken von neuem in einem Taumel der Glückseligkeit und versanken von neuem in einem bleiernen Schlaf.
Na, und mit diesen angenehmen Dingen wollen wir vielleicht für heute Schluß machen, hm?“ Und Giggerle mustert seine Zuhörer mit einem fragenden Blick.
Hierauf meint die Henne kopfschüttelnd und mit einem leicht enttäuschten Gesicht: „Na, meinetwegen müssen wir noch nicht aufhören. Was sagst du?“ Und dabei wendet er sich nach Johnny um. Bevor jedoch dieser noch etwas erwidern kann, sagt Giggerle: „Das freut mich. Aber ehrlich gesagt - mir reicht's heute schon. Vor dem, was nun folgt ... mit dem, was nun folgt, möchte ich heute nicht mehr anfangen. Außerdem bin ich schon direkt ein bisserl heiser.“
„Ja, dann!“ konstatiert Johnny und erhebt sich schwerfällig. „Aber ... Fortsetzung folgt, ja?“
„Ja, ja! Fortsetzung folgt!“ verspricht Giggerle. Jedoch - wie er es verspricht, klingt beinahe ein wenig angeschlagen - oder mutlos? Das wagen Johnny und die Henne nicht zu entscheiden.
Dienstag, 4. Juni 1996
1. Teil
Mir grauet vor der Götter Neide
(SCHILLER)
Der heutige Tag lädt tatsächlich nicht mehr dazu ein, im Garten zu sitzen und Geschichten zu erzählen. Die angekündigte Gewitterfront scheint genau zu wissen, was sie den Meteorologen schuldig ist, denn am Horizont ballen sich bereits finstere Wolken zusammen, und es muß jeden Augenblick mit dem Losbrechen eines heftigen Gewitters gerechnet werden. So ziehen es unsere drei Freunde naturgemäß vor, im Haus zu bleiben und sich in Giggerles ehemaligem Kinderzimmer fest einzuschließen, um gegen eventuelle unbefugte Zuhörer gefeit zu sein.
Während er also gedankenverloren aus dem Fenster blickt und den drohenden Gewitterwolken zuschaut, beginnt Giggerle mit auffallend leiser und zögernder Stimme: „Wo waren wir denn gestern stehengeblieben? Ach ja, mitten in unserer zweiten Nacht in Luxor. Ja, ja, so schlummerten wir also eng umschlungen, glückselig und selbstvergessen in unserem gemeinsamen Zweibettzimmer, Lydia und ich, und brauchten eigentlich doch nur ein einziges Bett. Und wie wir in der Früh aufwachten, schien im Gegensatz zum heutigen Tag die Sonne - pardon: die Scheibe des Sonnengottes - freundlich und tröstlich beim Fenster herein und hatte die nächtlichen Schreckgestalten - ihr erinnert euch? - verscheucht. Und damit brach also für uns jener 17. Februar an, der ... Aber nur Geduld! Also: Freitag, der 17. Februar 1995. Und wie gesagt, er brach, jedenfalls für uns, in höchst angenehmer, höchst erfreulicher Form an: der Sonnengott weckte uns, wie schon erwähnt, zärtlich, neben mir lag meine süße Geliebte, lächelte mich süß an und küßte mich liebevoll, ich fühlte mich wie neugeboren, und auch meine süße Geliebte fühlte sich wie neugeboren, und wir hatten beide wieder den Muezzin nicht gehört. Kann es einen schöneren Tagesanbruch geben?
Nur gegenüber unserem lieben Götzi war ich heute relativ reserviert. Nicht, daß ich ihm wirklich bös gewesen wäre oder so; eigentlich tat er mir ja nur leid. Sondern ich hatte heute einfach keine gesteigerte Lust, mit ihm wie sonst immer zu plaudern und zu scherzen, und auch seine Scherze riefen heute bei mir keine besonderen Heiterkeitsstürme hervor und, wie ich mit enormer Befriedigung registrierte, auch bei meiner Lydia nicht. Übrigens: überflüssig zu betonen, daß er seine gestrige Sondereinlage für Lydia mit keiner Silbe erwähnte.
Den gesamten Vormittag verbrachten wir unter Myriams sachkundiger Führung in der ausgedehnten Tempelstadt von Karnak - nur 'Tempel' zu sagen ist eigentlich viel zu wenig -, in der wir am Vorabend ja schon die Ton- und Lichtdarbietungen erlebt hatten; aber diesmal ließen wir uns von Machmut hin- und auch wieder zurückkutschieren. Anschließend folgte eine ungewöhnlich geruhsame Mittagspause im Hotel - das heißt, für die anderen war sie
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