Geliebte Myriam, geliebte Lydia
ungewöhnlich geruhsam; ich ließ mir's natürlich nicht nehmen, für alle Fälle rasch zu meinem Antiquitätenhändler zu sausen. Aber wie nicht anders erwartet, machte der ebenfalls Mittagspause und hatte zu und war auch nicht durch Klopfen oder Rufen herbeizuzaubern; und auch die anderen Läden des Basars waren fest verschlossen. Also blieb mir nichts übrig, als unverrichteter Dinge wieder zurückzusausen - in die Arme meiner süßen Lydia. Am Nachmittag kam dann endlich der Luxor-Tempel dran - 'endlich' deshalb, weil wir ihn von außen ja schon so oft gesehen und bestaunt hatten. Aber das war nichts im Vergleich dazu, wie wir ihn jetzt, wo wir uns in seinem Innern aufhielten, bestaunten. Es gab ja so viel zu bestaunen. Was ich persönlich vielleicht am meisten bestaunte, war eine relativ unauffällige griechische Inschrift in einem Teil, der aus der griechischen Epoche stammt. Und was die anderen vielleicht am meisten bestaunten, war eine Reihe von Reliefs aus ganz unterschiedlichen Zeiten, auf denen Gott Amun, dem dieser Tempel geweiht ist, in der ithyphallischen Gestalt des Gottes Min dargestellt ist, so zum Beispiel oberhalb der eben erwähnten griechischen Inschrift zusammen mit dem ihm opfernden Alexander dem Großen ... Wißt ihr eigentlich, was eine ithyphallische Gestalt ist?“
„M-m“, erwidert die Henne kurz und bündig. „Nein, wirklich nicht!“ kichert Johnny. „Noch nie gehört. Haben wir vielleicht eine solche, weil du uns so prüfend anschaust?“
Da lacht Giggerle herzlich und erklärt: „Nein, natürlich nicht! Ich meine: momentan nicht. Das heißt, vermutlich momentan nicht ... Also: ithyphallisch nennt man in der bildenden Kunst eine Gestalt mit erigiertem Phallus ...“
An dieser Stelle wird er durch herzliches Lachen, das Lachen der Erkenntnis, unterbrochen und fährt sodann fort: „Dieser Gott Min wird sogar mit ausgesprochen überdimensioniertem erigiertem Phallus dargestellt, und sowas hatten meine Leute natürlich noch nie gesehen - zumindest auf künstlerischen Darstellungen nicht - und staunten dementsprechend, die Damen ganz besonders, und die Frau Gruber war total aus dem Häuschen und furchtbar empört: 'Und sowas in einem Tempel, und so oft, und noch dazu bei einem Gott!' Sie konnte es einfach nicht fassen. Da sieht man wieder einmal, nicht wahr, wie das Christentum aus einer absolut natürlichen Sache, die für die sogenannten Heiden etwas ganz und gar Selbstverständliches war, eine Affäre gemacht hat und so tut, als ob das was Unnatürliches oder gar Perverses wäre.
Was gab's denn sonst noch Erstaunliches? Ach ja - eine kleine Moschee mitten im Tempel, und zwar mehrere Meter über dem Tempelboden, nämlich auf dem Niveau der Schuttmassen, die sich bis zu seiner Ausgrabung innerhalb und außerhalb des Tempels angehäuft hatten. Wie uns Myriam erklärte, ist diese Moschee einem in Luxor sehr verehrten islamischen Heiligen geweiht und kann deshalb nicht abgebrochen werden; solange sie aber nicht abgebrochen wird, kann dieser Teil des Tempels nicht ausgegraben werden. Übrigens hat es früher rund um den Tempel auch mehrere koptische Kirchen gegeben, aber die sind alle zur Gänze verschwunden, sprich: abgebrochen worden.
Zum Abschluß der heutigen Besichtigungen führte uns unsere liebe Myriam noch durch das kleine, aber feine Museum von Luxor. Und als dann unser Tagewerk beendet war - beinahe hätte ich gesagt: als wir Feierabend machten -, da war's bereits wieder fünf vorbei. Myriam, so schien es, hatte nicht vergessen, was ich ihr beim gestrigen Abendessen mitgeteilt hatte, und fragte mich nach der Ankunft im Hotel mit leuchtenden Augen, ob ich ihr jetzt den Papyrus zeigen könne. Ihr Interesse freute mich natürlich, und ich lud sie begeistert ein, jetzt gleich in unser Zimmer mitzukommen, um ihn zu bewundern. Das tat sie und ließ ihn sich von mir zeigen und übersetzen und war von ihm ganz hingerissen und gratulierte mir zu meinem Glück. Und sie hatte auch das mit dem Papyruscodex nicht vergessen und fragte mich erneut, ob sie mich in den Antiquitätenladen begleiten dürfe und wann ich hingehen wolle. Ja, jetzt sofort natürlich, nachdem ich ohnehin schon in der Mittagspause vergeblich hingesaust sei, und jetzt, wo die Geschäfte bestimmt offen hätten, komme auch meine Lydia mit; und wir würden uns selbstverständlich sehr freuen, wenn sie uns begleite - nicht wahr, Lydia? Na klar!
Also dann - nichts wie hin! Bestens gelaunt und in froher Erwartung machten
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