Geliebte Myriam, geliebte Lydia
können, daß diese Felsbarriere durch irgendein Wunder inzwischen verschwunden war und die lieben Sternlein herunterleuchteten. Aber nein - es war kein Wunder geschehen, und die lieben Sternlein leuchteten nicht herunter. Total frustriert wandte ich die Augen ab und senkte sie wieder, und dann starrte ich die längste Zeit wortlos abwechselnd Lydia und Myriam an. Schließlich legte mir Lydia ihre Hand auf den Arm und sagte mitleidig oder tröstend: 'Geh, Schatzilein, mach dir doch nicht so viel draus! Es wird schon alles gut gehen! Die Behörden werden die gefangenen Terroristen freigeben, und uns werden sie daraufhin laufen lassen - wirst schon sehen! Du darfst nur nicht die Hoffnung aufgeben!'
Als Antwort sagte ich gar nichts, sondern schlang meine Arme um ihren Rücken und ihre Taille und drückte sie an mich, und so standen wir eng umschlungen, und aus ihrer Umarmung schöpfte ich allmählich ein wenig Kraft, Mut und Zuversicht. Und danach schaute ich schon wieder etwas hoffnungsvoller aus der Wäsche und sagte zu den zweien: 'Also dann! Nichts wie heim!' Ich blickte auf die Uhr. Eins vorbei. 'Na, höchste Zeit, schlafen zu gehen! Morgen ist wieder ein anstrengender Tag!' Mein Blick fiel auf den Sack und den Kanister. 'Wißt ihr was? Die nehm' ich gleich mit! Wer weiß, welche Kostbarkeiten drinnen sind!'
Jetzt erhob sich ein edler Wettstreit unter meinen edlen Jungfrauen, wer den Sack tragen sollte, aber da ich ein hemmungsloser Egoist bin, verwies ich auf ihre diversen Beschädigungen und bestand stur darauf, daß ich nicht nur den Kanister, sondern auch den Sack tragen müsse, was ich schlußendlich auch durchsetzte.
Von nun an beeilten wir uns aber nicht mehr so und blieben in den Hallen mit ihren farbenfrohen Wandgemälden sogar gelegentlich kurz stehen, um einen flüchtigen Blick auf sie zu werfen. Aber für eine gründlichere Besichtigung fehlte uns jetzt merkwürdigerweise irgendwie der Geist oder die Lust oder die Energie oder vielleicht auch das Interesse. Glaubt übrigens nicht, daß wir jetzt, wo wir uns Zeit ließen, immer sofort den richtigen Weg gefunden hätten! Einmal verirrten wir uns trotzdem und entdeckten dabei eine ganze Abfolge prachtvoller Hallen, quasi eine richtige Hotelsuite; allerdings fiel uns auf, daß der Plafond der ersten Halle ganz schwarz war, offenbar rußgeschwärzt. Trotzdem erregte diese Hotelsuite, wie wir sie sofort tauften, mein ganz spezielles Interesse, weil mir nämlich schon ein ganz flüchtiger Blick ... Also, schön der Reihe nach: obwohl ich mich auch hier nur müde und eben flüchtig umblickte, entdeckte ich inmitten der farbenprächtigen Hieroglyphen und phantastischen Figuren an den Wänden bescheidene griechische Inschriften, und ich las die Namen 'Phoibammon', 'Kyriakos' und 'Epiphanios' und sogar die abgekürzten Worte 'Jesus Christus' und 'Mutter Gottes'. Und ich nahm mir fest vor, später einmal, wenn ich ausgeruht war, dieser Hotelsuite einen ausführlicheren Besuch abzustatten. Jedenfalls stand damit fest, daß in ihr einmal christliche Eremiten gehaust hatten.
Irgendwie erfüllte uns diese Entdeckung mit neuer Zuversicht, und wir sagten uns, wenn sich Menschen freiwillig in solche Grabbauten zurückziehen, um vielleicht ein ganzes Leben hier zu verbringen, wieso sollten's dann nicht auch wir ein paar Tage oder meinetwegen ein paar Wochen aushalten können?
Eine Frage wurde jetzt allerdings akut, die mich bisher immer nur rein theoretisch und unter 'ferner liefen' beschäftigt hatte, nämlich: wo haben die guten Eremiten ... also: wo sind die Eremiten aufs Klo gegangen? Oder müssen Eremiten nicht? Also, was das betrifft: wir mußten schon, und zwar alle drei. Daher beschlossen wir, sobald wir in unsere 'Ferienwohnung' zurückgefunden hatten, erst einmal einen Rundgang durch sie zu machen und dabei die Augen nach einem Klo offenzuhalten, das heißt, nach einem Platz, den man eventuell als Klo verwenden könnte. Und auf diesem Rundgang gingen uns die Augen über, als wir erkannten, was für eine ausgedehnte Anlage das ist und aus wievielen prachtvollen Räumen sie besteht. Es ist keineswegs übertrieben, von einem ganzen Labyrinth an Räumen zu sprechen. Auf den Säulensaal, in dem die Vorräte und so weiter deponiert waren, folgt ein zweiter, etwas kleinerer Säulensaal und auf diesen ein noch kleinerer Saal mit viereckigen Pfeilern, von denen einer zerstört ist. Von diesem geht's seitlich in einen kleinen Raum, in dem der Ansatz zu einer nach oben
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