Geliebte Myriam, geliebte Lydia
daß ich in eine offene Tür rannte und mir die Stirn blutig schlug.
Das war im März. Die nächste Gelegenheit ergab sich erst zwei Monate später, im Wonnemonat Mai. Er war nämlich verheiratet, und seine Frau hockte ständig zu Hause. Also im Mai, kurz vor der Matura, konnte ich ihm an einem Freitag mitteilen, daß meine Eltern übers Wochenende wieder weg sein würden. Nun gut, er kam, gleich am Samstag nachmittag. Und ich mußte ihn mit einer Hiobsbotschaft empfangen: ich habe plötzlich die Regel gekriegt! Damals war ich noch überzeugt, während der Regel dürfe man nicht. Und er war so zartfühlend, daß er mir weder widersprach noch irgendwie ungehalten war, was mich natürlich zusätzlich enorm für ihn einnahm.
Erst beim dritten Anlauf - da gelang's. Das war kurz nach der Matura. Apropos Matura: natürlich bin ich bei ihm in Mathematik angetreten, und er hat mir viel geholfen und mir sogar unerlaubterweise Tips gegeben. Und unmittelbar nach der mündlichen Prüfung in Mathematik - da kam er mir nach und gratulierte mir, und damals hat er mich sogar in der Schule geküßt; wir waren nämlich im Aufenthaltsraum der Maturanten zufällig gerade allein. Und was ich eigentlich sagen wollte: kurz danach hockte seine Frau einmal doch nicht zu Hause, und er lud mich zu sich ein, und damals ist es geschehen, und damals wurde unser Liebe besiegelt. Unsere Maturareise führte damals nicht nach Griechenland oder so, wie das heute üblich zu sein scheint, sondern nach Kärnten. Und stell dir vor: er ist mir nach Kärnten nachgekommen und hat für zwei Tage in der Nähe unseres Hotels in einer kleinen Pension ein Zimmer für uns zwei gemietet, und dort verbrachten wir unsere Flittertage - Flitterwochen waren's ja leider nicht-, aber so kurz sie waren, sie waren absolut traumhaft, und ich war ihm total verfallen. Damals hab' ich mich entschlossen, Mathematik und Physik zu studieren - nur ihm zuliebe; denn eigentlich sind mir diese Fächer nie so übermäßig gelegen, und ich hab's in der Zwischenzeit schon oft genug bitter bereut; aber die Reue kommt wie immer zu spät, und sie hilft überhaupt nichts.'
Sie machte eine Pause, und ich sagte: 'Lydia?'
'Ja?'
'Dabei fällt mir ein, daß du eigentlich davon sprechen wolltest, wie du in die Falle getappt bist und dich in einen verliebt hast, der umgekehrt ...'
'Ich bin mitten drin!'
'Ich hatte aber, ehrlich gesagt, bis jetzt nicht den Eindruck, als ob er dich nicht geliebt hätte!'
'Na, sicher hat er mich geliebt, aber letztlich kaum anders, als ein Kind sein Lieblingsspielzeug liebt. Ich glaube, es hat ihm einfach imponiert, von so einem jungen Ding, wie ich damals war, so inbrünstig und hingebungsvoll angebetet zu werden. Und er hat auch pausenlos davon geschwärmt, wie knusprig und appetitlich ich doch sei ...'
'Aber bitte', wandte ich ein, 'das bist du doch wirklich!'
'Ja, freilich', erwiderte sie sarkastisch, 'mit meinen 30 Jahren, gelt? In wenigen Monaten werde ich 31!'
'Jawohl', beharrte ich, 'mit deinen 30 Jahren!'
Da lachte sie leise, biß mich ins Ohr, küßte mich auf die Lippen und fuhr fort: 'Naja, lassen wir das! Der Rest ist schnell erzählt. Unsere Beziehung setzte sich auch im Herbst nach meiner Matura fort, als ich in Wien Mathematik und Physik zu studieren begann, und wurde, jedenfalls von meiner Seite, immer intensiver, und er besuchte mich regelmäßig in Wien, und ich schrieb ihm glühende Liebesbriefe nach St. Pölten, und von denen war er so entzückt, daß er sie alle aufhob, und zwar in seiner eigenen Wohnung. Und es kam, wie es kommen mußte: irgendwann fielen sie seiner Frau in die Hände, und daraufhin schmiß sie ihn raus, das heißt, sie stellte ihn vor die Alternative: entweder ziehst du aus, oder ich ziehe aus. Und da zog er aus und mietete sich eine Wohnung für uns beide, und ich zog zu ihm, und damit begannen die sechs Jahre unseres quasi-ehelichen Zusammenlebens ...'
Da ich den letzten Satz nicht ganz verstanden hatte, hakte ich hier ein und fragte noch einmal nach: 'Sagtest du „Sexjahre“ oder „sechs Jahre“?'
Da lachte sie süß und wiederholte: 'Sechs Jahre, du süßes Dummerl! Eins - zwei - drei - vier - fünf - sechs.'
'Und quasi-eheliches Zusammenleben? Heißt das, daß ihr nie geheiratet habt?'
'Du sagst es: wir haben nie geheiratet.'
'Und warum nicht, wenn man fragen darf?'
'Aber geh, ist das wichtig? Und außerdem wollte sich seine Frau ohnehin nicht scheiden lassen.'
'Gut, aber wo bleibt die Falle?'
'Nun,
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