Geliebte Myriam, geliebte Lydia
entledigt hatten.
Hier stellte sich heraus, daß es unserer armen Myriam inzwischen schon deutlich besser ging, ja, daß sie jetzt auf einmal offenbar das Bedürfnis verspürte, sich auszusprechen und auf diese Weise ihre seelische Belastung wenigstens zum Teil loszuwerden. Meine Lydia war so lieb und referierte in kurzen Worten das wenige, was Myriam bisher von sich gegeben hatte. Zunächst einmal das Allerwichtigste: das Schwein, das Myriam so zugerichtet hatte, sei ausgerechnet unser Freund und Helfer gewesen, aber als solcher, nämlich als Polizist, habe er sich garantiert nur verkleidet und ausgegeben; in Wirklichkeit sei er vermutlich irgendein Oberbruder von der sogenannten Moslembruderschaft. Das sei eine fundamentalistische Terrororganisation, die unter anderem auch den früheren Staatspräsidenten Sadat auf dem Gewissen habe und in der jüngsten Zeit einen enormen Zulauf zu verzeichnen gehabt habe.
'Und die zwei anderen?' fragte ich mißtrauisch. 'Was haben die getan?'
Aber Myriam erriet meine Gedanken und sagte sofort: 'Die haben nichts getan.'
'Soso. Nur zugeschaut, wie?'
'O nein. Sie haben mich festgehalten.'
'Damit du dich nicht wehrst, oder was?'
'Ja, ja! Die Arme haben sie mir festgehalten, und die Beine haben sie mir auseinandergezogen.'
'Aha, und dabei natürlich zugeschaut!'
'Das weiß ich nicht. Aber wahrscheinlich nicht. Sondern sie haben die ganze Zeit gebetet.'
'Was? Gebetet?' rief ich, aufs höchste überrascht, ja, bestürzt, aus.
'Ja, ja', bekräftigte Myriam, 'oder besser psalmodiert, wie man das nennt. Sie psalmodierten Koranverse, und zwar ausgerechnet solche, die vom Sterben handeln. Die psalmodierten sie übrigens auch letzte Nacht, während sie uns in dieses Versteck brachten.'
'Ja, aber was soll das? Spinnen die total?'
'Nein, sondern sie sind einfach religiöse Fanatiker oder Eiferer, wie man im Deutschen sagt.'
'Ah, dann spinnen sie aber wirklich', warf Lydia ein, 'und unser Christian hat mit seiner Vermutung vollkommen recht. Fanatiker spinnen wahrscheinlich tatsächlich. Ich bin überzeugt, daß Fanatismus eine Art Geisteskrankheit ist, und religiöser Fanatismus ganz besonders.'
'Genau!' rief ich anerkennend. 'Und statt „religiöser Fanatismus“ kann man ja auch sagen „religiöser Wahn“, nicht wahr? Und davon kommt natürlich der ...?'
'Wahnsinn', ergänzte Lydia.
'Na eben. Und wie religiöser Wahn und Vergewaltigen zusammenhängen, das soll mir erst einmal einer erklären!' Daß mir die Schwester Sara das schon irgendwann einmal erklärt hatte, mir und dem Götzi, war mir inzwischen total entfallen. Naja, das muß wohl in einem früheren Leben gewesen sein.
'Oh - das kann ich schon!' flüsterte Myriam, und wir lauschten gespannt. 'So etwas kommt oft genug vor. Ich habe davor immer schon Angst gehabt - so wie wahrscheinlich alle christlichen Frauen und Mädchen in Ägypten.'
'Hu, das ist ja schrecklich!' japste Lydia.
'Ja, das ist wirklich schrecklich!' fuhr Myriam fort. 'Und in den letzten Jahren soll es immer häufiger geworden sein.'
'Aber bitte, wieso ausgerechnet die christlichen Frauen?' warf ich verständnislos ein. 'Das kapier' ich nicht!'
'Zwangskonversion nennt man das', erklärte Myriam, 'und verstehen kann das nur, wer mit dem islamischen Gesetz vertraut ist. Nach dem islamischen Gesetz ist Geschlechtsverkehr von vornherein gleichbedeutend mit Heirat. Ferner kann nach dem islamischen Gesetz ein Moslem nur eine islamische Frau heiraten. Folglich konvertiert, immer nach dem islamischen Gesetz, eine Frau, die mit einem Moslem Geschlechtsverkehr hat, eben dadurch automatisch zum Islam.'
'Das heißt also', rief ich empört aus, 'eine Christin zu vergewaltigen ist für einen Moslem eine verdienstvolle Tat?'
'Genau so ist es, denn er führt damit der Herde des Propheten ein weiteres Schäflein zu, wenn ich so sagen darf.'
Jetzt brachte ich vor Entrüstung und Verwunderung zunächst einmal gar nichts heraus, und es herrschte einige Zeit nachdenkliches Schweigen. Dann meldete sich Lydia zu Wort und sagte: 'Also, irgendwie versteh' ich das nicht. Wie können die denn annehmen, daß eine Christin, nur weil sie von so einem Schwachkopf vergewaltigt worden ist, sich plötzlich als Mohammedanerin fühlt und an Allah glaubt und in die Moschee geht statt in die Kirche? Ist das nicht ein bisserl naiv?'
'O nein', widersprach Myriam, 'nicht unbedingt. Du weißt ja, wie die Männer sind - pardon, Christian -, jedenfalls bei uns in Ägypten. Was glaubt
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