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Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
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das Video im ägyptischen Fernsehen gezeigt wird?'
    'Aber sicher! So machen sie's ja immer. Drum haben sie uns ja auch den schwarzen Schleier umgebunden.'
    'Und niemand im ganzen Land wird dir helfen oder sich für dich einsetzen oder sowas?' fuhr Lydia bestürzt fort.
    'Niemand', sagte Myriam bitter. 'Alle werden sie entweder Angst haben oder auf der Seite der Fundamentalisten stehen oder einfach gleichgültig sein.'
    Jetzt schüttelte Lydia nur mehr fassungslos den Kopf und wußte nichts mehr zu sagen. Ich war im Moment ebenfalls völlig sprachlos und starrte schweigend die Pappendeckeltafeln an, als hätte ich dadurch einen ganz anderen Sinn in die verschnörkselten arabischen Schriftzeichen hineinlesen können. Und Myriam hatte nicht nur ihren Mund, sondern auch ihre Augen zugemacht und hing höchstwahrscheinlich ihren eigenen Gedanken nach. Worüber sie wohl nachgrübelte? Über die Ungerechtigkeit der Welt? Über die Ungerechtigkeit der Natur? Über die Ungerechtigkeit des Schicksals, das sie zu einem Leben als Frau verurteilt hatte, noch dazu in einem islamischen Land? Ich konnte mir vorstellen, daß sie mit Bitterkeit über das alles nachgrübelte, und dachte im stillen: Siehst du, das hast du jetzt davon! Von mir wolltest du dich nicht einmal ein bisserl verehren lassen, aus lauter Angst um deine Jungfräulichkeit oder um deine sogenannte Ehre! Nicht ein bisserl flirten wolltest du mit mir! Und jetzt das!
    Und es sollte sich herausstellen, daß sich unsere Gedanken tatsächlich weitgehend deckten. Zuerst brach sie allerdings aufs neue in Tränen aus und schluchzte wieder wahrhaft herzzerreißend und war die längste Zeit absolut untröstlich, obwohl nicht nur ich sie mit allen Mitteln zu trösten versuchte - na, mit allen natürlich nicht; das kam erst später -, sondern auch Lydia herübergekrabbelt kam, um ihr tröstend die Hand zu halten und über die Haare zu streicheln. Aber wie sie sich dann endlich wieder beruhigt hatte, da begann sie uns ihr Herz auszuschütten und beklagte sich im folgenden bitter über die Fruchtlosigkeit ihrer ständigen Bemühungen, sich ihre Ehre zu erhalten; und dabei warf sie mir mehrmals einen langen, vielsagenden Blick zu, ganz so, als würde sie's jetzt sehr bereuen, mit mir nichts angefangen zu haben. Aber das war natürlich keineswegs alles, worüber sie sich so bitter beklagte. Genauso beklagte sie sich über die Ungewißheit ihres nunmehrigen Schicksals und erinnerte uns an ihren seinerzeitigen Vortrag über das mögliche Los, das allen Frauen in Ägypten droht, wenn sie ihre Ehre verlieren, und sei es auch ohne eigene Schuld. 'Und was ist Ehre?' fragte sie zuletzt unvermittelt und gab auch gleich selber die Antwort: 'Ein dünnes Häutchen. Sonst nichts.' Dann seufzte sie tief und flüsterte: 'Ach, wie ihr mich lieb tröstet!' Gleichzeitig versuchte sie ein schwaches Lächeln und schloß die Augen, und nach kurzer Zeit erkannten wir an ihren regelmäßigen Atemzügen, daß sie eingeschlafen war.

    6. Teil

    Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust!
    (GOETHE)

    Sobald Myriam ins Reich der Träume entfleucht war, krabbelte Lydia wieder auf ihre eigene Lagerstatt zurück, küßte mich relativ flüchtig und wünschte mir Gute Nacht. Ich löschte das Licht, drehte mich ihr zu und legte meine Hand auf ihre Wange. Da wurde mir auf einmal bewußt, daß ihre Wange ja ganz naß war, und ich kam ihr näher, küßte ihre Augen und ihre Wangen und fragte flüsternd, weshalb sie denn so weine. Und nach einiger Zeit gab sie mir, ebenfalls flüsternd, die Antwort: 'Da fragst du noch?' Darauf wußte ich nichts zu sagen und verstärkte nur meine Liebkosungen. Und wieder nach einiger Zeit begann sie von neuem und gab eine Äußerung von sich, die ich eigentlich nicht erwartet hatte. Sie sagte nämlich folgendes: 'Schatzilein! Bitte, behalt mich lieb! Ich liebe dich so!' Von diesen Worten war ich zwar einerseits sehr gerührt, andererseits aber doch einigermaßen bestürzt, und ich versicherte ihr hundertmal, daß ich sie heiß liebe und auch über unsere gegenwärtigen ägyptischen Ferien hinaus lieb behalten werde; aber irgendwie, kam mir vor, wollte es mir nicht recht gelingen, irgendwelche Vorbehalte oder Zweifel oder Befürchtungen bei ihr zu zerstreuen, denn sie war jetzt mindestens genauso untröstlich wie Myriam vorher, wenn nicht noch mehr. Ich konnte nur meine Liebkosungen ständig verstärken und erweitern und über ihren ganzen Körper ausdehnen, und da ich an ihren Reaktionen

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