Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
Vom Netzwerk:
Archäologen nachzumachen, das heißt, ich begann schräg zur Außenwand, quer über die Ecke, einen sogenannten Suchgraben anzulegen. Ich begann direkt an der mutmaßlichen Außenwand und erreichte erwartungsgemäß und trotzdem zu meiner Enttäuschung nach kaum mehr als einer halben Minute in nicht einmal zehn Zentimetern Tiefe den Felsboden. Ich ließ mir aber nichts anmerken und grub eifrig weiter, das heißt, verlängerte den Graben, begleitet von den aufmunternden Kommentaren meiner Süßen. Und ich war schon zirka einen halben Meer weit, als es plötzlich grundlos wurde. Da jubelte ich auf und erklärte, das sei jetzt das gesuchte Loch, und das Loch sei eben der in der Inschrift genannte 'Abgang' oder 'Weg weg', und das sei unser Weg in die Freiheit. Und ich verdoppelte und verdreifachte meinen Eifer und schaufelte oder vielmehr löffelte mit meinem schönen tibetanischen Silberlöffel, und mit der Zeit zeichneten sich die Umrisse eines Lochs von ungefähr einem halben bis ganzen Meter Durchmesser ab. Es war weder rund noch quadratisch, sondern hatte eine ziemlich unregelmäßige Form, und es war ohne weiteres klar, daß es nachträglich in den Felsboden eingehauen worden war. Leider bekam ich bald Kreuzweh und begann unwillkürlich zu stöhnen, und da sprang sofort meine Lydia ein, entriß mir den Löffel und machte sich, wie sie's von vornherein vorgehabt hatte, selber an die Arbeit, und nach einiger Zeit ließ sie sich von Myriam ablösen, und nach der kam wieder ich dran. Und so wechselten wir uns gegenseitig ab, und so machte uns die Arbeit sogar als solche direkt Spaß, ganz abgesehen von der Vorfreude auf den vermeintlich bevorstehenden Spaziergang in Sonne und frischer Luft ...“
    „Vermeintlich?“ wirft die Henne ein.
    „Jawohl, vermeintlich“, bekräftigt Giggerle. „Denn recht bald - ich könnte nicht sagen, ob eine oder zwei Stunden vergangen waren - war Endstation, das heißt, wir stießen auf Fels, und das Loch war zu Ende, und es ging auch sonst nirgends weiter. Naja, da machten wir natürlich lange Gesichter und schauten uns gegenseitig traurig an. Nichts war mit dem erhofften Spaziergang in Sonne und frischer Luft. Aber wieso steht dann hier ausdrücklich 'Dies ist der Abgang'? Und wie soll's jetzt weitergehen? Ich las noch einmal langsam und nachdenklich und übersetzte zugleich für meine Lieben:
    Hier, ganz nah dem Reiche der Dämonen
    wird den Dämonen die ihnen gebührende Ehre zuteil.
    'Liebste Myriam, wie macht man das? Wie erweist man den Dämonen die ihnen gebührende Ehre?'
    Darauf wußte zwar die Myriam keine rechte Antwort, sondern zuckte nur mit den Schultern und blickte mich bedauernd an, aber die Lydia wußte die Antwort, allerdings ohne es zu ahnen. Sie rief nämlich in ausgesprochen unwirschem und, zugegeben, reichlich volkstümlichem Ton mitten in das verlegene Schweigen hinein: 'Ach, scheiß drauf, gehen wir lieber wieder in die hintere Kammer und graben dort den Sandberg ab! Vielleicht ist dort wirklich ein Ausgang!'
    'Abgang', korrigierte ich verblüfft und leicht erschrocken; so hatte ich sie nämlich bis dahin noch nie reden gehört. Sie war offenkundig aufs äußerste frustriert.
    'Ach, Abgang oder Ausgang' schimpfte sie, 'das ist mir scheißegal, wenn er nur ...'
    'Ha!' rief ich wie elektrisiert aus und schnitt ihr das Wort ab. 'Abgang! Bin ich blöd!' Und wie um da eine Besserung herbeizuführen, klopfte ich mir ein paarmal auf den Kopf. Und während mich meine Süßen fragend und verständnislos anschauten, fuhr ich im selben Ton fort: 'Apópatos! Wie kann man nur so auf der Leitung stehen! Wißt ihr, was „apópatos“ heißt? Jetzt ist es mir erst eingefallen. Nicht „Abgang“, sondern „Abtritt“, also „Klo“!' Ich umarmte meine Lydia und sagte: 'Danke, Schatzilein, daß du mich endlich auf die Idee gebracht hast! Nur hättest du das schon ein bisserl früher machen können!'
    'Ich hab' dich ...', begann sie; dann lachte sie und sagte: 'Ach so, weil ich gesagt hab' „Scheiß drauf, gehen wir lieber nach hinten und machen uns dort an den Sandberg“, gelt?'
    Ich schmunzelte, küßte sie und sagte: 'Genau! Und mit dem Sandberg hast du vollkommen recht - gelt, Myriam?'
    Und Myriam erwiderte lachend: 'Natürlich! Lydia hat immer recht.' Und dabei warf sie ihr einen irgendwie merkwürdigen, schwer zu deutenden Blick zu. 'Und übrigens - jetzt weißt du die Antwort, ja? Ich meine, auf deine Frage, wie man den Dämonen die ihnen gebührende Ehre

Weitere Kostenlose Bücher