Geliebte Myriam, geliebte Lydia
nicht einmal gelogen - und daß die Myriam das selber zutiefst bereue und mir gerade eben feierlich versichert habe, daß sie ihr, also der Lydia, nie wieder Anlaß geben werde, sich über sie zu grämen.
Na, Gott sei Dank, das wirkte! Während ich ihr das alles immer wieder vorsagte, beruhigte sie sich allmählich und flüsterte schließlich, indem sie mit den letzen Schluchzern kämpfte: 'Ach, Schatzilein, liebes, kannst du mir verzeihen?'
'O nein!' sagte ich scheinbar streng und küßte sie zärtlich, und jetzt erwiderte sie meinen Kuß, wenn auch sehr schüchtern, und flüsterte dann noch leiser als zuletzt, und dabei starrte sie mich mit entsetzten, ja, verängstigten Augen an: 'Nein?'
'Nein, nein!' wiederholte ich und sagte dann lächelnd und in möglichst sanftem Ton: 'Da gibt's nämlich nichts zu verzeihen! Und umgekehrt muß ich dich um Verzeihung bitten!'
'Aber nein', erklärte sie in bereits etwas festerem Ton, 'du brauchst überhaupt nicht um Verzeihung zu bitten! Ich liebe dich ja so! Und es tut mir wahnsinnig leid, daß ich mich so sehr hab' gehen lassen! Das sollst du mir verzeihen, Schatzilein ...'
'Aber da gibt's doch nichts zu ...'
'O doch! Wo ich mir doch geschworen habe ...'
'... nie wieder eifersüchtig zu sein - stimmt's?'
'... nie wieder die Eifersucht mit mir durchgehen zu lassen - du erinnerst dich.'
'Ich erinnere mich. Aber du hast doch gar nicht die Eifersucht mit dir durchgehen lassen! Du hast mir's doch überhaupt nicht an den Kopf geworfen!'
'Naja, indirekt schon.'
Und damit waren wir mitten drin in einer höchst angeregten Diskussion zum Thema Eifersucht und Liebe, und dabei beruhigte sich Lydia zusehends und überbot sich selber regelrecht an Edelmut und Selbstlosigkeit, freute sich aber gleichzeitig sichtlich über meine mehrmals wiederholte Erklärung, Myriam habe feierlich versichert, daß sie ihr nie wieder Anlaß geben werde, sich über sie zu grämen. Schließlich gelang es mir sogar, sie dazu zu überreden, ein Frühstück zu sich zu nehmen und vor allem aufzustehen und mir an die Stätte unseres eifrigen Wirkens, und das hieß also: zu Myriam, zu folgen. Und unterwegs wurde sie nicht müde zu versichern, daß sie ihren Anteil an der gemeinsamen Arbeit auf jeden Fall leisten werde, komme, was da wolle.
Und so wanderten wir in die Hotelsuite zurück, und je näher wir dem Sandberg in der hintersten Kammer und damit unserer lieben Myriam kamen, umso stärkeres Herzklopfen hatte ich. Wie würde wohl Myriam dreinschauen, wenn ich jetzt mit unserer lieben Lydia aufkreuzte? Wie würde sich Lydia gegenüber unserer lieben Myriam verhalten? In was für einer Stimmung würde die weitere Arbeit vor sich gehen? Ja, ja - diesmal vergaß ich sogar meinen inzwischen obligat gewordenen Blick auf die griechische Inschrift über dem Eingang, so nervös war ich.
2. Teil
Denn viele sind berufen, doch wenige sind auserwählt
(MATTHÄUS)
Na, und wie schaute dann unsere liebe Myriam drein, wie ich mit der Lydia aufkreuzte? Schwieg sie schuldbewußt? Stotterte sie verlegen herum? Blies sie vielleicht Trübsal, weil's das allerletzte Mal gewesen war? Oder kicherte sie, weil's so schön gewesen war?
Nichts von alledem! Ihr werdet es nie erraten - sie sprang, kaum daß wir die hinterste Kammer betreten hatten, wie von der Tarantel gestochen auf, wandte uns einen hochroten Kopf zu, fuchtelte mit meinem Silberlöffel herum und rief uns aufgeregt irgendwas zu, was ich im ersten Moment überhaupt nicht verstand; entweder hatte sie in ihrer Aufregung ihr ganzes Deutsch vergessen, oder der Inhalt ihres Rufens war so unerwartet, daß er mir anfangs einfach nicht in den Kopf hineinwollte - und tatsächlich wartete ich vergeblich auf das Stichwort 'Lydia'. Zum Glück wiederholte sie ihr Rufen so lange, bis sie entweder des Deutschen wieder mächtig war oder meine eigene Empfangsstörung behoben war, und dann verstand ich plötzlich, was sie uns da entgegenrief: 'Schaut, der Spalt! Er ist breiter geworden! Er wird umso breiter, je tiefer man gräbt!'
Der Spalt? Ich blickte in die Richtung, in die sie mit dem Löffel zeigte, oder genauer: fuchtelte. Sie fuchtelte in die Richtung der Ecke, das heißt, des abgeschrägten Stücks Wand mit dem Sandberg, den wir uns abzubauen bemühten. Und jetzt erinnerte ich mich, daß dort schon am letzten Abend ein dünner Felsspalt aufgetaucht war. Tatsächlich - dieser dünne Spalt war inzwischen etwas breiter geworden und versprach unterhalb der
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