Geliebte Myriam, geliebte Lydia
vergaß und erst durch Lydias vorwurfsvollen Blick daran erinnert werden mußte. Sie deutete mir, rasch eine Wasserflasche aus meinem Sack herauszuholen und zu öffnen und den Inhalt der armen Myriam einzuflößen. Nun, das tat ich umgehend, und Myriam trank gierig und dankbar und kam auf diese Weise alsbald wieder auf Touren, und wir beschlossen einhellig, in Hinkunft unbedingt mehr zu trinken, um weitere derartige Zwischenfälle zu verhindern. So leerten wir gemeinsam noch eine zweite Flasche, halfen Myriam auf die Beine, Lydia übernahm den Freßsack, und wir setzen unseren Leidensweg fort.
Bald danach wurde dieser deutlich gemildert. Die liebe Sonne verabschiedete sich nämlich und verschwand hinter dem Berg vor uns. Das bedeutete zwar zunächst einmal eine enorme Erleichterung, aber nun wurde ein anderes Problem akut und begann uns mehr und mehr zu belasten, nämlich: wohin mit uns in der Nacht? Wohin sollen wir unser müdes Haupt legen, sobald die Nacht über uns hereinbricht? Es war ja keine Berghütte in Sicht, kein Wirtshaus, kein Heuschober, ja, nicht einmal der primitivste Unterstand, auch keine Höhle und schon gar kein altägyptisches Grab. Es sah also ganz danach aus, als müßten wir die Nacht unter freiem Himmel und obendrein auf dem nackten Erdboden verbringen, und zwar ohne Decke, ohne Kopfpolster und ohne Schlafsack. Na gut, andererseits hatten wir heute alle drei schon einmal in exakt der gleichen Situation geschlafen, und ich hatte sogar geträumt, wenn auch nicht ausschließlich von schönen Dingen; aber dort war ja auch der Boden entsetzlich steinig gewesen. Nur: wo wir jetzt wanderten, war er mindestens ebenso steinig. Sand, ich meine: in größeren Flächen, so daß man sich hätte drauflegen können, hatten wir seit dem Ende des Felsentals, in dem wir diese entsetzlichen Dinge erlebt hatten, nicht mehr angetroffen, und wie's ausschaute, hatten wir jetzt nur mehr die Wahl zwischen steinigen und felsigen Flächen. Das heißt, es gab natürlich noch eine weitere Alternative. Wir hätten ja auch einfach die Nacht durchmarschieren können. Taschenlampen hatten wir ja bei uns, und schließlich war uns das Leben in der Finsternis inzwischen schon vertrauter, als uns lieb war, und zwar in totaler Finsternis, während es in einer sternklaren Nacht ja bei weitem nicht so finster ist, ganz zu schweigen von einer mondhellen. Aber natürlich war das keine echte Alternative, und wir verschwendeten auf sie in Wirklichkeit keinen einzigen Gedanken. Erstens ist klarerweise ein Unterschied, ob ich durch unterirdische Gänge und Hallen oder über ein vollkommen unbekanntes nächtliches Felsgebirge wandere, noch dazu mit Spielzeugsandalen wie unsere Myriam; und schließlich dürft ihr nicht vergessen, daß Lydia und ich ja auch keine Bergschuhe anhatten, sondern halt normale Halbschuhe, wie man sie eben in Länder wie Ägypten mitnimmt. Zweitens - und das war für uns in unserer damaligen Situation eigentlich der Hauptgrund - lechzten wir ja schon längst nach einem Ende unserer heutigen Torturen, nach einer Erholung von den fürchterlichen Strapazen und nach einem süßen, erquickenden Schlummer in herrlich kühler, frischer Luft im Anblick der lieben Sternlein. Am liebsten hätten wir uns ja sofort zum Schlafen hingelegt, aber irgendwie fühlten wir uns verpflichtet, das Tageslicht auszunutzen und uns so weit wie möglich zu schleppen.
Apropos lechzen: wonach wir inzwischen ebenfalls furchtbar lechzten, das war Wasser zum Waschen oder gar Baden. Wir hatten alle schon längst das dringende Bedürfnis, uns zumindest die Hände zu waschen, noch lieber natürlich den ganzen Körper. Ihr könnt euch sicher vorstellen, wie verdreckt wir inzwischen von oben bis unten waren - nein, das könnt ihr euch wahrscheinlich gar nicht vorstellen. Und nirgends gab's ein Wasser - keine Quelle, keinen Brunnen, keinen Bach, ja, nicht einmal ein Laub oder ein Gras, wo man die Hände wenigstens notdürftig hätte abstreifen können - oder auch bei Bedarf sonstige Körperteile. Und unser Mineralwasser, das ich die ganze Zeit auf meiner Schulter mitschleppte, durften wir für Waschzwecke selbstverständlich nicht verwenden. Davon hatten wir inzwischen so viel getrunken, daß ich zwar einerseits schon spürbar leichter zu tragen hatte; aber andererseits begannen die Vorräte bereits langsam knapp zu werden, und wir mußten bangen, ob wir mit dem, was übrig war, überhaupt auskommen würden. Seit Myriam auf den Freßsack geplumpst
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