Geliebte Myriam, geliebte Lydia
war, hatten wir nämlich immer wieder Pause gemacht und fleißig getrunken, damit sowas ja nicht noch einmal passiert.
6. Teil
Infandum, regina, iubes renovare dolorem
(VERGIL)
Übrigens: gejammert hat keiner von uns. Gestöhnt - ja, das schon; gestöhnt hat dauernd einer. Aber gejammert - nein, das nicht. Als daher Myriam dann einmal besonders arg stöhnte und schließlich mit letzter Kraft ausrief, sie könne nicht mehr, da wußte ich: jetzt ist es so weit. Ich machte augenblicklich halt und hielt nach einem halbwegs geeigneten Platz für ein Nachtlager Ausschau. Aber es war überall das gleiche: mehr oder weniger steile Kiesflächen oder rauhe Felsen, zum größten Teil noch steiler. Da sah die Stelle, wo wir uns momentan befanden, noch verhältnismäßig am akzeptabelsten aus: eine nicht zu steile Kiesfläche, ähnlich der, wo wir heute schon einmal geschlafen hatten. Ich deutete der Myriam, daß wir hier bleiben könnten, und da schaute sie mich dankbar und erleichtert an und warf sich auf der Stelle nieder. Ja, sie warf sich buchstäblich zu Boden und blieb mit geschlossenen Augen bewegungslos liegen, als ob sie entweder blitzartig eingeschlafen oder aber von neuem ohnmächtig geworden wäre. Aber wir durften natürlich nicht gleich schlafen; wir mußten was essen und trinken, um bei Kräften zu bleiben, oder genauer: wieder zu Kräften zu kommen. Und darum ließen wir, Lydia und ich, die Myriam nicht so mir nichts, dir nichts ins Traumland entfleuchen, sondern zwangen sie sozusagen, sich an unserem abendlichen Festmahl zu beteiligen, wozu sie sich dann nach einigem Zureden auch bereit fand. Aber groß schien ihr Appetit nicht zu sein. Nun, das war zwar meiner auch nicht, und der von der Lydia auch nicht, aber, wie schon gesagt, was sein muß, muß sein. Nur, als dann die Lydia den Freßsack aufmachte, da stellte sich heraus, daß sich sein Inhalt in keinem besonders appetitanregenden Zustand mehr befand: sämtliche Orangen zerquetscht, die Brotfladen und Kuchen mehr oder weniger zerbröselt und mit Orangensaft und obendrein noch mit ausgeronnenem Zuckerrohrsaft getränkt, und so weiter, und so fort - erspart mir bitte eine detailliertere Aufzählung! Mit einem Wort: die ganzen Köstlichkeiten, die uns unsere Freunde, die armen Schweine, aus eigenem Antrieb verehrt hatten, ohne dazu beauftragt worden zu sein, und für die sie sich etwas Dankbarkeit auf unserer Seite erwartet hatten, waren buchstäblich im Eimer - offensichtlich das Ergebnis von Myriams Ohnmachtsanfall. Naja, was half's? Wir würgten halt ein paar Bissen hinunter, um den Hungertod abzuwehren, besonders Lydia und auch Myriam, die also anscheinend doch hungriger war, als sie vorher getan hatte. Ich war's hingegen weniger; mir war eigentlich immer noch entsetzlich schlecht, und ich brachte daher wirklich fast nichts hinunter, noch dazu bei diesem tollen Angebot. Und während daher meine zwei Süßen noch fleißig schnabulierten, machte ich haargenau dasselbe, was vorher Myriam gemacht hätte, wenn ich sie nicht davon abgehalten hätte: ich legte mich wortlos hin, schloß die Augen und hörte meinen Süßen beim Schnabulieren zu. Und die waren entweder so selbstsüchtig oder so rücksichtsvoll, daß sie schweigend weitermampften und mich in Ruhe ließen.
Ich muß ziemlich blitzartig eingeschlafen sein. Als ich durch einen spitzen Schrei wieder aufwachte, war's noch finster - oder vielmehr schon finster, denn ich hatte nicht das Gefühl, besonders lang geschlafen zu haben. Das erste, was mir bewußt wurde, war: oje, Kopfweh und Übelkeit sind um nichts besser. Und indem ich mich umdrehte, erkannte ich, daß der verdammte Muskelkater ebenfalls unvermindert andauerte. Mein zweiter Gedanke: brr - kalt ist es! Und erst mein dritter Gedanke war: he, hat da nicht eine geschrien? Im Moment war's ruhig, aber nur ein paar Sekunden später ging's schon wieder los, und dann schrien sie sogar zweistimmig. Aber nach Lustschrei klang das alles nicht, eher wie ein entsetztes Kreischen. 'Was ist los?' rief ich erschrocken aus. 'Ein Viech!' kreischte es zurück, und das war unverkennbar die Stimme meiner lieben Lydia.
Was, ein Viech? Und ich mußte einen Moment lang an ein dickes, fettes Nilpferd denken, das sich zu meiner friedlich schlummernden Lydia hinunterbeugt und ihr genüßlich die Wangen leckt. Erst dann fiel mir ein, was not tat: Licht! Es werde Licht! Und ich wollte wie gewohnt meine umgehängte Taschenlampe anknipsen, suchte sie aber vergeblich
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