Geliebte Myriam, geliebte Lydia
Paralleltal zum Tal der Könige?' rief Ruschdi zu mir zurück, und ich antwortete, ja, vermutlich, und er sagte was zum Fahrer, und der nickte und fuhr los. Er war aber keineswegs ganz so schweigsam, wie's am Anfang den Anschein hatte, und der andere auch nicht, sondern es dauerte nicht lang, und es war eine denkbar lebhafte Debatte zwischen ihnen und Ruschdi im Gang. Offenbar debattierten sie über mich und meine zwei Süßen, denn der neben mir schaute ständig zu mir her und grinste mich an, und auch der Fahrer drehte immer wieder den Kopf nach mir um, so daß ich mich direkt etwas unbehaglich zu fühlen begann; ich war ja nicht einmal angegurtet. Naja, zum Glück verlief die Straße, auf der wir dahinfuhren, vorläufig schnurgerade, aber immerhin unmittelbar neben einem relativ breiten Bewässerungskanal, und ich hatte eigentlich keine gesteigerte Lust, in diesem zu landen, falls man das so nennen kann; und auf der Straße war trotz dem Sonntag allerhand los, nicht so sehr normaler Verkehr als vielmehr Esel, Kamele, Traktoren, Kinder, Wasserträgerinnen und dergleichen mehr. Und dann waren wir auf einmal in der Wüste, das heißt, am anderen Ufer des Kanals war weiterhin ebenes Fruchtland, aber an unserem Ufer war bereits Wüste - runde, hohe Kieshügel. Hie und da kamen wir an einem kleinen Dorf vorbei, und da war das Leben und Treiben auf der Straße wieder absolut beängstigend. Nach einiger Zeit hielt der Fahrer aber an und blickte ratlos hin und her, und Ruschdi blickte ebenso ratlos hin und her. Da achtete ich selber stärker als bisher auf die Landschaft und merkte, daß das Thebanische Gebirge total verschwunden war. Na, verschwunden war's natürlich nicht, aber nur mehr in der Ferne zu erkennen. Das war dem Fahrer offenbar aufgefallen, und drum war er stehengeblieben. Er wendete, und wir fuhren so weit zurück, bis wir die runden Kieshügel, an denen wir vorhin vorbeigefahren waren, wieder erreichten; die stellten sich nämlich jetzt als die Ausläufer des Thebanischen Gebirges heraus. Einige Male hielt er an und interviewte Passanten, und dann bogen wir plötzlich in eine Sandpiste ein, und jetzt glaubte ich mit der Zeit tatsächlich die Umgebung wiederzuerkennen, durch die wir, und das heißt jetzt: Lydia, Myriam und ich, schon einmal nächtlicherweile, gefesselt und geknebelt, mit weit überhöhter Geschwindigkeit dahingerast waren, und sagte das auch dem Ruschdi. Wie lang war das eigentlich schon her? Ich konnte es kaum glauben: neun Tage war das jetzt schon her, oder, da es ja erst Vormittag war, zumindest achteinhalb! Und ich mußte daran denken, daß ich jetzt bereits eine volle Woche in meiner Schule versäumt hatte und immer noch nicht in Melk war. Und ich begann mir zu überlegen, wie lang es wohl noch dauern werde, bis ich wieder vor meinen Schülern stehen würde; daran hatte ich nämlich in den letzten Tagen nicht einen Gedanken verschwendet.
Wir kurvten jetzt die längste Zeit in durchaus moderatem Tempo durch eine hügelige Wüstenlandschaft, aber dann wurden aus den Hügeln zu beiden Seiten der Piste plötzlich schroffe Berghänge, und wir befanden uns mit einem Schlag in einer richtigen Schlucht, und die wurde immer enger. Und dann war's auf einmal aus - nicht die Schlucht, wohl aber die Piste. Wir standen genau vor 'meinem' Felssturz, der, wenn ihr euch erinnert, den ganzen Talboden von einer Felswand bis zur anderen verlegt hatte. Wir stiegen aus, und ich erkannte unter den Felstrümmern sogar noch einige verkohlte Fragmente von dem Wagen ... na, ihr wißt schon; und dann blickte ich hinauf auf den Berghang, wo ich den unter einer Mauer aus Felsbrocken verborgenen Eingang zu unserem unterirdischen Labyrinth, der Zelle des Epiphanios und dem unberührten altägyptischen Grab wußte, und fand dessen Aussehen irgendwie verändert - aber wie, das war nicht genau auszumachen. Und mich schauderte, als ich an jene Vorgänge, durch die diese Veränderungen ausgelöst worden sein müssen, zurückdachte. Und dazu hatte ich jetzt reichlich Gelegenheit, denn wir marschierten nicht sofort los, sondern legten erst einmal eine gemütliche Rast ein, die wir zum Nachdenken und Palavern nutzten, das heißt natürlich: ich mehr zum Nachdenken und die drei anderen mehr zum Palavern. Eigentlich hatte ich mir ja erwartet, daß wir sie auch dazu nutzen würden, um ein bisserl was zu jausnen, denn ich war inzwischen schon wieder ganz schön hungrig, oder wenigstens zu trinken; schließlich meinte es die
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