Geliebte Myriam, geliebte Lydia
aber von den zwei Pratzen weiterschleppen; und jetzt merkte ich, wem diese gehörten: die eine gehörte Ruschdi und die andere Achmad. Gleichzeitig nahm ich die zwei schreienden Stimmen hinter uns wahr und erkannte, daß die oder vielmehr deren Besitzer damit beschäftigt waren, uns zu entfernen, uns in hohem Bogen hinauszuwerfen, uns wie streunende Hunde zu verscheuchen. Und sie ruhten nicht eher, als bis wir die Eingangstür hinter uns zugeschmissen hatten und auf der Straße standen - auf der Straße übrigens und nicht im Hof, von dem aus wir diese gastliche Stätte ursprünglich betreten hatten.
6. Teil
Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuß der ganzen Welt!
(SCHILLER)
Ja, jetzt standen wir also auf der Straße, und ich war zunächst einmal vollauf damit beschäftigt, meine Benommenheit abzuschütteln und wieder halbwegs zu mir zu kommen. Außerdem hatte ich genug damit zu tun, das Dröhnen in meinem Kopf etwas leiser zu stellen und zu verhindern, daß er ganz zerspringt. Nach einiger Zeit hörte ich Ruschdis besorgte Stimme: 'Kannst du allein stehen?'
'O ja, selbstverständlich!' murmelte ich in kaum ganz akzentfreiem Englisch, und es kann auch nicht besonders überzeugend geklungen haben. Trotzdem lockerten sich jetzt allmählich die Griffe rund um meine Ellbogen oder vielleicht genauer Oberarme, und dann stand ich frei, und ich torkelte noch ein wenig, aber ich stand.
'Glaubst du', hörte ich wieder Ruschdis Stimme, 'kannst du allein ins Hotel zurückgehen?'
'O ja, selbstverständlich!'
'Weißt du, ich möchte zusammen mit Achmad noch einmal hineingehen und versuchen, deinen Paß zurückzukriegen.'
'O ja, selbstverständlich!'
'Wir meinen nämlich beide, du solltest Luxor so schnell wie möglich verlassen.'
'Luxor so schnell wie möglich verlassen - o ja, selbstverständlich!'
'Und die zwei Ladys auch.'
'Die zwei Ladys auch - o ja, selbstverständlich!'
'Also weißt du was: du gehst erst einmal ins Hotel und restaurierst dich ein wenig, und wir kommen, so schnell's geht, nach, hoffentlich mit deinem Paß, und dann fahren wir sofort gemeinsam zum Flughafen, und ich will versuchen, für euch noch Plätze auf der Abendmaschine nach Kairo zu ergattern. Ist das in deinem Sinn?'
'In meinem Sinn? O ja, selbstverständlich!'
'Also dann: alles Gute, und bis bald!'
Und ehe ich noch was drauf sagen konnte, waren die beiden bereits wieder in diesem Haus der Freude verschwunden, und ich stand jetzt mutterseelenallein auf der Straße und mußte erst einmal nachdenken, wo ich da war und was ich eigentlich als nächstes zu tun hatte, und ob ihr mir's glaubt oder nicht, das machte mir echt Mühe. Ich mußte mir über diese Fragen echt den Kopf zerbrechen, und das, wo ich doch vor allem damit beschäftigt war zu verhindern, daß er ganz zerspringt. Das müßt ihr einmal ausprobieren, damit ihr seht, wie mühsam das ist!
Endlich hatte ich's heraußen - ich meine, was ich als nächstes zu tun hatte: allein ins Hotel zurückzugehen! Ja, aber: in welcher Richtung lag es eigentlich, und wie weit war's bis dorthin? Ich hatte nicht die geringste Ahnung. Aber bitte, wozu bin ich denn Reiseleiter? Wie oft war ich schon in einer vergleichbaren Situation gewesen und hatte mich dann eben durchgefragt, und das mit zwanzig, dreißig, vierzig oder auch fünfzig Leuten hinter mir! Hier bei der Polizei konnten die mir doch sicher Auskunft geben! Und ich war schon drauf und dran, die Stufen zum Eingangstor wieder hinaufzusteigen und mich somit noch einmal in die Höhle des Löwen zu begeben, als mir mit einem Schlag die Erinnerung an die gerade eben erst erlebten Szenen zurückkam und ich mich in meinem Vorhaben ganz, ganz schnell wieder einbremste. Es würde doch bestimmt noch andere Leute geben, die man befragen könnte - nettere, freundlichere, liebenswürdigere, mit einem Wort: menschlichere. Nur - wo? Es war schon fast dunkel, und es brannten bereits die Straßenlaternen. In dieser Gasse war keine Menschenseele zu sehen; sie wirkte wie ausgestorben. Aber rechts - da war in der Ferne ein unaufhörlicher Menschenstrom zu erkennen; offenbar mündete diese Gasse dort in eine Hauptstraße. Also dann: nichts wie hin!
Ich setzte mich also vorsichtig nach rechts in Bewegung - vorsichtig deshalb, weil ich noch reichlich unsicher auf den Beinen stand und weil mir außerdem, wie erwähnt, der Kopf zu zerspringen drohte; und indem ich mich in Bewegung setzte, wurde das Kopfweh schlagartig noch bedeutend schlimmer. Aber es
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