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Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
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ging, und nach fünf oder zehn Minuten erfolgreichen Torkelns erreichte ich tatsächlich die belebte Hauptstraße. Nun 'belebt' - das sah und hörte ich schon von weitem - war ja gar kein Ausdruck. Es war direkt unglaublich, was sich dort abspielte: ein dichtes Menschengewühl und ein ohrenbetäubendes Geschrei, oder vielmehr: ein skandierendes, gemeinsames Gerufe - oder sollte man es eher als Singen bezeichnen? Auf jeden Fall sah das einer Demonstration, einer Massendemonstration verdammt ähnlich. Na, dort würde ich bestimmt jemanden finden, der mir sagen konnte, wie ich ins Hotel Philippe komme.
    Je näher ich dem Ort dieses Massenauflaufs kam, umso mehr verdichtete sich mein ursprünglicher Eindruck, daß es sich um eine Demonstration handeln müsse. Und schließlich erkannte ich: dem war wirklich so. Es war eine richtige Demonstration im Gange. Und jetzt sah ich auch die Spruchbänder, die von den Teilnehmern mitgetragen wurden, konnte aber, weil ich ja leider Analphabet bin, ihre Aufschriften alle nicht lesen. Eigentlich hätte ich ja direkt Lust gehabt, da jetzt gleich mitzudemonstrieren, denn irgendwie ist Demonstrieren immer recht lustig, und wenn man Glück hat, vergißt man für eine Zeitlang sein ganzes Kopfweh, oder was man eben gerade für ein Leiden hat, und man fühlt sich irgendwie aufgehoben im Schoß der Menge - stimmt's? Ich hab's jedenfalls früher immer so empfunden. Aber dann fiel mir ein, daß ich hier ja eh nicht richtig mitdemonstrieren konnte - ich verstand ja die Sprache nicht; wie hätte ich da die Parolen mitskandieren oder mitsingen können? Ich hätte mich also irgendwie ausgeschlossen gefühlt, und nichts wär's gewesen mit dem Aufgehobensein im Schoß der Menge. Außerdem fiel mir zu meinem nicht geringen Schrecken ein, daß ich ja schon was vorhatte und daß das, jedenfalls laut Ruschdi, relativ dringend war. Na, schade!
    Ich blieb also vorläufig am Rand der vorbeiziehenden Menschenmassen stehen und lauerte auf eine Möglichkeit, mich ihnen bemerkbar zu machen und sie oder auch nur einen von ihnen um den Weg zu fragen. Das war aber, wie sich herausstellte, gar nicht so einfach, denn die Demonstranten waren alle derart mit sich selbst und ihrer Demonstration beschäftigt, daß ich ihnen schon mit einer Peitsche eins überziehen oder eine antike Trompete über den Schädel hätte hauen müssen, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Und müßige Zuschauer oder auch nur unbeteiligte Passanten waren weit und breit keine zu sehen. Na, schließlich gelang's mir aber doch, wenigstens einen auf mich aufmerksam zu machen, ein ganz entzückendes Bürschchen übrigens; und er blieb stehen und schaute mich neugierig an, und mit ihm blieben ein paar weitere Bürschchen stehen und schauten ebenfalls neugierig und lachten und scherzten und unterhielten sich köstlich, wahrscheinlich auf meine Kosten. Aber das konnte mir eigentlich wurscht sein, und nach einigem Zögern sagte ich, als ich sah, daß sie ihr Interesse an mir zu verlieren begannen, ganz rasch: 'Hotel Philippe?'
    Auf meine Frage gerieten sie zu meiner maßlosen Überraschung in helle Aufregung, und einer nach dem anderen - es waren, wenn ich mich nicht irre, sechs oder sieben an der Zahl - wiederholten sie den Namen, als ob er irgendein Zauberspruch wäre: 'Hotel Philippe' - 'Hotel Philippe' - 'Hotel Philippe', die meisten in Form einer Frage, und zwar einer ungläubigen Frage. Ich konnte nur jedesmal mit dem Kopf nicken und wiederholen: 'Aiua, Hotel Philippe!' ('Aiua' heißt 'ja', das wußte ich schon.)
    Wunderte ich mich jetzt schon über eine solche Aufregung wegen meiner Frage nach dem Hotel Philippe, so haute mich das nun Folgende total von den Socken, allerdings nicht sofort, und zwar einfach deshalb nicht sofort, weil ich eben eine lange Leitung hatte. Sie redeten nämlich jetzt alle sechs oder sieben auf mich ein und streckten alle ihre Zeigefinger fragend gegen mich aus, und alle wiederholten sie immer wieder ein und dasselbe Wort, und ich verstand es die längste Zeit nicht, wo ich doch kein Arabisch verstehe, nicht wahr, und schaute verständnislos vom einen zum anderen und fragte mich die ganze Zeit: Wieso zum Kuckuck sagen sie mir denn nicht, wie ich zum Hotel Philippe finde? Und dann, mit einem Schlag, verstand ich das Wort, denn es war gar nicht arabisch und lautete schlicht und einfach: 'Christian', nur eben gräßlich verballhornt. Was sie also sagten, oder genauer: schrien - denn sie mußten natürlich das Geschrei der

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