Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
Vom Netzwerk:
übrigen Demonstranten noch überschreien -, war: 'Enta Christian?', zu deutsch: 'Bist du Christian?' oder 'Du bist Christian?' Na, ich dachte, mich trifft der Schlag, und nachdem ich ein paarmal geschluckt hatte, nickte ich und erklärte in meinem schönsten Arabisch: 'Aiua - ana Christian.' (Daß 'ana' 'ich' bedeutet, war mir ja schon bestens bekannt, und ich mußte dabei an den guten, alten Machmut denken.)
    Und daraufhin brachen sie in einen unbeschreiblichen Jubel aus und umringten mich und tanzten um mich herum - ihr könnt euch das überhaupt nicht vorstellen, und ich konnte mich nur wundern, ahnte aber nicht im geringsten, was im nächsten Moment passieren würde. Plötzlich brüllten sie nämlich im Chor: 'Uáhad ... itneen ... taláta', und ich befürchtete schon das Allerschlimmste - da packten mich auf einmal zahllose Hände, und dann hoben mich diese munteren Gesellen in einem Schwung auf ihre Schultern und begannen wieder im Demonstrationszug mitzumarschieren und trugen mich jetzt wie im Triumph - ich wußte nur nicht, ob zur Schlachtbank oder zum Hotel oder sonstwohin; und dabei brüllten sie im Chor immer wieder dasselbe, und ihr Gebrüll wurde von der nächsten Umgebung aufgenommen und dann auch von der weiteren Umgebung. Und bald brüllten, soweit ich das wahrnehmen konnte, weit und breit alle dasselbe, und dabei schauten sie mich an und winkten mir zu; und das ließ mich hoffen, daß man mich doch nicht zur Schlachtbank beförderte.
    So ging das eine ganze Zeitlang, und ich begann mich schon zu freuen, daß ich den Weg zum Hotel vielleicht doch nicht zu Fuß zurückzulegen brauchte, sondern mich tragen lassen konnte. Da hörte man mit einemmal aus einer Seitengasse eine Polizeisirene, und da begann sich in dem bisher ausgesprochen diszipliniert und geordnet verlaufenden Demonstrationszug plötzlich Chaos auszubreiten, denn viele wurden unvermittelt hektisch und begannen zu rennen, oder vielmehr: versuchten zu rennen und rempelten dabei andere an und warfen sogar welche um und brachten eben Chaos in die bisherige Ordnung. Auch meine munteren Gesellen, auf deren Rücken ich halb ausgestreckt lag, wurden, das merkte ich deutlich, unruhig, und ich erwartete, daß sie mich jetzt abwerfen würden oder irgend sowas. Aber nein, sie behielten erstens ihre Nerven und zweitens mich auf ihren Rücken und skandierten weiterhin ihr für mich unverständliches Sprüchlein, und ein paar andere mit ihnen; aber die große Masse war jetzt entweder vor Schreck verstummt, oder aber ihre Rufe wurden nun von der inzwischen ständig lauter und zuletzt absolut ohrenbetäubend gewordenen Polizeisirene übertönt. Da wurde auf einmal ein dickes, komisches Fahrzeug sichtbar; es ähnelte einem Tankwagen, besaß aber auf dem Dach der Fahrerkabine zwei witzige Rohre mit Scheinwerfern drüber. In diesem Fahrzeug steckte offenkundig die Sirene, die jetzt so laut heulte, daß es einem in den Ohren richtig weh tat - noch dazu, wenn einem der Kopf zu zerspringen drohte, nicht wahr. Und plötzlich gesellte sich zu dem Heulen der Sirene noch ein anderes Geräusch, nämlich ein beängstigendes, durch Mark und Bein gehendes Zischen. Dieses Zischen, das erkannte ich schnell, ging von besagten witzigen Rohren aus. Aus diesen spritzten jetzt nämlich zwei dicke Wasserstrahlen heraus, und sie spritzten direkt in die Menge der Demonstranten hinein. Und jetzt erhob sich ein ungeheures Geschrei - nicht mehr so ein Geschrei wie früher, sondern wie wenn man vor Angst und Entsetzen in den höchsten Tönen kreischt. Und sehr bald merkte ich auch, wieso. Da wurden nämlich auch wir von einem dieser Wasserstrahlen getroffen, oder vielleicht auch von allen zweien - was weiß ich. Ich weiß nur, daß mich meine munteren Gesellen blitzartig von ihren Rücken nahmen, und zwar, wohlgemerkt, trotzdem ganz vorsichtig, und wieder auf meine eigenen Füße stellten. Aber nicht, daß ihr glaubt, sie hätten mich jetzt einfach stehen lassen und selber Reißaus genommen oder sowas! O nein, sie behielten mich in ihrer Mitte, packten mich fest und nahmen Reißaus, jawohl, aber mit mir!
    Ich könnte nicht sagen, wie lang wir so durch dunkle, nur spärlich beleuchtete Gassen rannten, patschnaß und umgeben von einem vielleicht tausendfachen, aufgeregten Stimmengewirr. Aber dann machten sie wieder halt und hievten mich mit einem Schubs erneut auf ihre Rücken. Und da war ich direkt froh, denn diese Rennerei war nicht gerade dazu angetan gewesen, meine rasenden

Weitere Kostenlose Bücher