Geliebte Myriam, geliebte Lydia
Bericht von unseren Erlebnissen und Abenteuern geben - ja, eigentlich nur von Myriam. Sie redeten nämlich nur Arabisch, und Myriam entschuldigte sich bei Lydia und mir sogar ausdrücklich dafür, aber, so erklärte sie, ihr Vater könne kein Deutsch. Englisch auch nicht? Nein, Englisch auch nicht, nur Griechisch. Ah, Griechisch! Damit war offenbar Neugriechisch gemeint, und das kann ich ja zufällig. Zwar, was ich studiert habe, in der Schule unterrichte und nebenbei auch wissenschaflich betreibe, das ist, wie euch sicher klar ist, Altgriechisch, aber im Zusammenhang mit meinen Griechenlandreisen habe ich schon recht früh auch Neugriechisch gelernt, und ich muß sagen, darüber bin ich sehr froh. Erstens ist Neugriechisch für einen, der Altgriechisch gelernt hat, ein reines Kinderspiel, und man hat ohne allzu großen Aufwand eine weitere lebende Fremdsprache und kann sich eben in Griechenland damit verständigen, und zweitens ist es gerade für einen, der sich wissenschaftlich mit Griechisch beschäftigt, enorm wichtig zu wissen, wie sich das Griechische der Antike weiterentwickelt hat.
Also: Myriams Vater spricht Neugriechisch. Damit konnte ich mich also mit ihm verständigen, und das war gut so. Ich mußte nämlich mit ihm das Bett teilen, und das kam so: die Wohnung war nicht sehr groß, nur eine Dreizimmerwohnung. Eines von den drei Zimmern war eigentlich das Schlafzimmer von Myriams Eltern, aber der Herr Girgis war bereits Witwer und schlief daher normalerweise allein im Ehebett. Und so kam ich zu der Ehre, mit Myriams Vater zusammen in dessen Ehebett zu schlafen. Das zweite Zimmer war Myriams Zimmer, und deshalb mußte eben Lydia bei ihr schlafen, und zwar wohlgemerkt im selben Bett; Myriam besaß naturgemäß noch kein Doppelbett. Und das dritte Zimmer? Ja, das war vollbesetzt. In ihm wohnten Myriams Bruder und Schwägerin und deren Baby. Die lernten wir übrigens erst am nächsten Morgen kennen; als wir kamen, schliefen sie alle schon. Myriams Bruder, über den sie mir ja schon so viel erzählt hatte, und zwar keine besonders lobens- und preisenswerten Sachen - aber das war ja alles schon irrsinnig lang her -, machte, wenn ich ganz ehrlich sein soll, auf mich und auch auf Lydia keinen übertrieben positiven Eindruck. Er hatte ein eher dickliches Gesicht mit viel zu femininen Zügen und wirkte auf uns - darin stimmt Lydia mit mir voll überein - wie ein maßlos verwöhntes Muttersöhnchen. Seine Frau war ausgesprochen hübsch, richtig wie ein Püppchen, schien aber keinerlei Charme zu besitzen, und ich fürchte, auch nicht übermäßig viel Grips. Nur ihr Baby - das war zum Anbeißen, so süß war es.
Also, wie gesagt, die lernten wir erst am nächsten Morgen kennen, beim gemeinsamen Frühstück. Nach diesem suchte Myriam die Adresse der österreichischen Botschaft aus dem Telefonbuch heraus und stellte fest, daß man da ohne weiteres zu Fuß hingehen könne, und um unsere äußerst beschränkten Finanzen zu schonen - den Herrn Girgis oder auch Myriam selber wollte ich auf gar keinen Fall anpumpen -, und zugleich irgendwie auch deshalb, weil wir das Lustwandeln inzwischen ja schon so gewohnt waren, nicht wahr, marschierten wir anschließend unverzüglich los, meine zwei Süßen und ich, und suchten zu Fuß die österreichische Botschaft auf; und das war eigentlich eine höchst angenehme Wanderung. Ganz so idyllisch wir unsere letzten Wanderungen war sie zwar nicht, und auch die Luft war wohl nicht ganz so sauber wie im Thebanischen Gebirge; aber meinem Kopf tat die Bewegung und die - relativ - frische Luft unbestreitbar gut. Ja, ja, mein Kopf! Der war von den gestrigen Mißhandlungen immer noch sehr mitgenommen, und eigentlich tat mir noch jeder einzelne Schritt weh; zu allem Überfluß war ich ein wenig verkühlt, aber ich ließ mich nicht unterkriegen, und ich merkte alsbald, wie mir die Bewegung wohl tat. Dazu kam, daß diese Wanderung auch für die Augen und damit fürs Gemüt ein recht erfreuliches Erlebnis war. Das Haus, in dem Myriam wohnt, befindet sich nämlich auf einer langen und schmalen Insel mitten im Nil; und da wanderten wir meistens auf hübschen Uferpromenaden unter Alleebäumen dahin und genossen die schönen Blicke über den Fluß - zuerst auf der Insel selber und später, nachdem wir über eine Brücke gegangen waren, auf dem Festland, und die längste Zeit wurden unsere Blicke von einer hohen Wasserfontäne mitten im Fluß magisch angezogen. Klar, daß wir auch jede Menge zu plaudern
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