Geliebte Myriam, geliebte Lydia
nichts mehr. Das tat uns zwar außerordentlich leid, aber wir machten uns, ehrlich gesagt, deshalb keine übertriebenen Sorgen. Erstens waren wir damals, wie ihr inzwischen wißt, mit uns selber zur Genüge beschäftigt; zweitens dachten wir daran, was sie uns über ihre Schreibfaulheit verraten hatte; und drittens erinnerten wir uns an die schönen Sachen, die sie uns über die ägyptischen Ehemänner erzählt hatte, und fragten uns, ob ihr Ehemann vielleicht auch so einer ist, der seine Ehefrau - oder gar Ehefrauen - unterdrückt und ihr am Ende sogar den brieflichen Kontakt mit ihren Freunden verbietet. Sollte das letztere der Grund für ihr anhaltendes Schweigen sein, so würden wir das zwar im höchsten Maße bedauern, müßten es aber wohl als gewissermaßen naturgegeben hinnehmen. Auf jeden Fall schrieben wir ihr weiterhin, wenn auch vielleicht nicht mehr so häufig wie am Anfang, an ihre alte Adresse mit dem Vermerk: Bitte nachsenden! und hofften im übrigen, in nicht allzu ferner Zukunft nach Ägypten reisen und dort persönlich nach dem Rechten sehen zu können. Wir wußten ja, Ruschdi würde uns in absehbarer Zeit zur Eröffnung der Ausstellung der neuen Funde nach Kairo einladen.
Ja, Ruschdi! Was war mit ihm? Nun, er ließ zunächst sehr lange nichts von sich hören - ein gutes halbes Jahr. Indirekt hörten wir allerdings sehr wohl von ihm, nämlich durch gelegentliche Berichte in den Medien über die sensationelle Entdeckung eines unberührten Grabes bei Luxor und die Bergung der phantastischen Schätze, die es enthalte. Und dann, im Herbst, flatterte mir ein Brieflein von ihm ins Haus - ins falsche Haus zwar, denn inzwischen war ich ja übersiedelt, aber ich bekam es natürlich trotzdem. Er schrieb, die Arbeit gehe wunderbar voran, und es sei wirklich so, wie er's vermutet hatte: die von uns entdeckte Grabkammer sei nur ein Teil einer ausgedehnten und noch dazu völlig unberührten Grabanlage aus der 19. Dynastie. Und zum Jahreswechsel kam dann die langersehnte Botschaft: am 22. Februar, zum Ende des Ramadans und zugleich zum Jahrestag der Entdeckung des unberührten Grabes werde die Ausstellung im Ägyptischen Museum in Kairo eröffnet, und er freue sich, uns bei dieser Gelegenheit wiederzusehen; wir würden noch eine offizielle Einladung der ägyptischen Regierung erhalten, als 'special guests' an dieser Veranstaltung teilzunehmen.
3. Teil
Hoffen und Harren
macht manchen zum Narren
(SPRICHWORT)
Nun, diese offizielle Einladung der ägyptischen Regierung ließ tatsächlich nicht lang auf sich warten, und so machten wir, also Lydia und ich, uns am 21. Februar erwartungsfroh auf und flogen nach Kairo. Früher wär's übrigens gar nicht gegangen, weil ich erst am 20. von einer Semesterferienreise zurückgekommen war. Lydia hatte von ihrer Direktorin entgegenkommenderweise ein paar Tage freigekriegt. Am Flughafen in Kairo wurden wir schon erwartet. Hinterm Zoll stand ein feierlich gewandeter junger Mann und hielt uns einen großen Zettel entgegen, und auf diesem standen, zwar nicht ganz fehlerfrei, in großen Lettern unsere Namen geschrieben. Der begrüßte uns also in nicht sehr schönem Englisch im Namen der ägyptischen Regierung, führte uns vor das Flughafengebäude zu einem tollen Schlitten mit eigenem Chauffeur, verstaute unser Gepäck eigenhändig im Kofferraum und hieß uns einsteigen. Er lud uns vor einem Hotel in unmittelbarer Nähe des Ägyptischen Museums ab und kümmerte sich auch darum, daß wir ein Zimmer bekämen; außerdem überreichte er uns ein Programm des morgigen Festaktes und gab uns ein paar Tips, wie wir uns zu verhalten hätten. Auf unsere Frage nach Dr. El Manfaluti - so heißt ja Ruschdi mit Nachnamen - erklärte er, der sei höchstwahrscheinlich damit beschäftigt, letzte Hand an die Ausstellung zu legen.
Na, damit wußten wir natürlich, wo er zu finden war, und suchten ihn auch unverzüglich auf. Wir fanden ihn schließlich inmitten einer unglaublichen Fülle kostbarster Schätze, und wir waren im ersten Moment so geblendet von ihrer Pracht und Schönheit und ihrem hervorragenden Erhaltungszustand, daß wir ihn beinahe zu begrüßen vergessen hätten; und mir fiel relativ rasch auf, daß das bei weitem nicht alles sein konnte, denn es handelte sich ausnahmslos um Kostbarkeiten, und mir fehlten die zahllosen Dinge, die nicht eigentlich als kostbar zu bezeichnen sind, uns aber zum Teil gute Dienste geleistet hatten, wie zum Beispiel die verschiedenen Werkzeuge, der
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