Geliebte Myriam, geliebte Lydia
für uns hätten sich viel mehr Leute interessiert. Aber als die mit der Zeit sahen, daß aus uns nichts herauszuholen war, stieg ihr Interesse an der Ausstellung und an Ruschdis Erklärungen sprunghaft an, und bald drängte sich alles um ihn, und wir zwei blieben, Gott sei Dank, allein und unbeachtet zurück. Um unsere Unruhe ein wenig zu dämpfen, beschlossen wir, auf eigene Faust einen Besichtigungsrundgang durch die Ausstellung zu unternehmen und dabei den Eingang nicht aus den Augen zu lassen. Aber unsere Besichtigung gestaltete sich dann äußerst flüchtig und unkonzentriert, denn wir konzentrierten unsere Aufmerksamkeit in erster Linie auf den Eingang; einzige Ausnahme waren die Objekte, die wir schon aus der von uns betretenen Grabkammer kannten, zum Beispiel 'unser' Holztisch mit den herrlichen Intarsien, der unter dem Schönen Loch gestanden war und auf den wir so respektlos draufgetreten waren; ja, beim allerersten Mal war mir sogar nichts anderes übriggeblieben, als auf ihn draufzuspringen. Und jetzt stand er im Museum, und es war strengstens verboten, ihn auch nur mit den Fingern zu berühren. Auch 'unsere' vergoldete und mit Intarsien verzierte Truhe fanden wir wieder. Sie war geöffnet, so daß man die phantastischen Schmuckstücke, die sie enthielt, bewundern konnte. Aber etwas fehlte mir: die Papyrusrolle unseres lieben Freundes Epiphanios. Und natürlich, aber das hatte ich ja schon am Vortag festgestellt, fehlten auch die Trompete und die Lyra, die auf dem Truhendeckel gelegen waren - obwohl nicht immer; wenn die wüßten, was ich mit der Trompete alles getrieben habe!
Das waren aber, wie gesagt, Ausnahmen. Ansonsten behielten wir hauptsächlich die Tür im Auge. Jedoch - so sehr wir uns auch die Augen ausschauten: von Myriam keine Spur! Es war zum Verzweifeln! Natürlich schauten wir auch ständig auf die Uhr. Als es halb eins war, kam Ruschdi auf uns zugestapft, machte, als er uns erblickte, eine ähnlich bekümmerte Miene wie wir, schüttelte den Kopf und stellte mit Bedauern fest, daß Myriam noch immer nicht eingetroffen sei; er verstehe das nicht, und er könne sich das nur mit dem ewigen Verkehrschaos in Kairo erklären. Wir brachten vor Enttäuschung kaum eine vernünftige Antwort heraus, und wahrscheinlich, um uns zu trösten oder sowas, sagte er, die Veranstaltung sei ja zum Glück noch nicht aus, sie werde jetzt nur verlegt, und zwar in ein Restaurant neben dem Museum, wo wir alle als Gäste der ägyptischen Regierung zu einem festlichen Dinner eingeladen seien, und er werde den Leuten beim Museumseingang Anweisung geben, daß sie Myriam direkt ins Restaurant schicken mögen.
Irgendwie schaffte er's tatsächlich, uns damit ein wenig zu beruhigen, und wir trabten anschließend brav und folgsam wie zwei Schafe hinter der Schar der anderen her, aus dem Museum hinaus, über die Straße und ins Restaurant hinein. Dieses befand sich übrigens in genau dem Gebäude, wo wir im Jahr zuvor nach unserem ersten Museumsbesuch mit Meister Salam auf dessen Empfehlung mittaggegessen hatten und wo einige meiner Leute zum Schutz der Religion mit Steinen beworfen worden waren. Diesmal wurde aber keiner mit Steinen beworfen. Erstens war ja der Ramadan schon vorbei, und zweitens fielen mir erst jetzt mehrere unauffällige Herren auf, die ganz unauffällig darüber zu wachen schienen, daß wir ja nicht mit Steinen beworfen werden und uns auch sonst kein Leid geschieht. Wir bekamen zwei Plätze neben Ruschdi zugewiesen, das heißt, ich links von Ruschdi und Lydia rechts von Ruschdi, und neben Lydia blieb ein Platz für Myriam frei. Fragt mich nicht, was es gegeben hat! Ich könnte es euch nicht sagen, nicht nur, weil Ruschdi, der sich offenbar verpflichtet fühlte, mich zu unterhalten oder zu trösten, pausenlos auf mich einredete. Ich konnte ihm sowieso nicht richtig zuhören - ich konnte mich weder auf ihn noch aufs Essen konzentrieren; ich mußte immer nur an das eine denken: wo bleibt Myriam? Wo steckt sie? Wieso kommt sie so spät? Wird sie überhaupt noch kommen? Soll ich vielleicht anrufen?
Ha! Anrufen! Das ist die Idee! Zwar hatten wir nur die Nummer ihrer alten Wohnung und keine Nummer von dort, wo sie jetzt wohnte, ja, wir wußten nicht einmal ihre neue Adresse. Vielleicht wußte Ruschdi diese oder ihre neue Telefonnummer? Und ich unterbrach ihn mitten in seinem Redefluß und fragte ihn. Er war auch gar nicht ungehalten über die Unterbrechung, sondern wirkte höchst verständnisvoll und schaute
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