Geliebte Myriam, geliebte Lydia
gekriegt, und als das Rumpeln und Prasseln vorüber war und der Staub sich verzogen hatte, machten wir eine schreckliche Entdeckung: die Myriam, die Arme, die hatte es erwischt, die lag unter einem ganzen Berg von Steinen begraben und rührte sich nicht mehr. Und wir stürzten uns darauf und bemühten uns fieberhaft, die Steine wegzuräumen, aber irgendwie gelang uns das nicht; denn je fieberhafter wir uns bemühten, umso zahlreicher wurden die Steine, und umso höher wurde der Berg, der Myriams Körper bedeckte, und unsere Kräfte erlahmten allmählich, und wir weinten und jammerten und waren total untröstlich.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war mein Kopf noch voll von diesem merkwürdigen Traum, und ich konnte mich über ihn nicht genug wundern. Aber dann fiel mir schlagartig ein, was uns heute noch bevorstand: das Wiedersehen mit unserer Myriam, oder sollte ich besser sagen: mit meiner Myriam? Na, jedenfalls erfüllte mich dieser Gedanke mit einer ungeheuren Energie, und ich sprang aus dem Bett; und dabei merkte ich, daß Lydia ebenfalls schon wach war, und es stellte sich heraus, daß sie ähnlich aufgeregt und erwartungsvoll war wie ich. Und so kam es, daß wir uns schon eine gute Stunde vor Beginn des Festaktes vor dem Museumseingang herumtrieben und insgeheim hofften, daß Myriam denselben Gedanken haben würde und es auch nicht würde erwarten können, uns wiederzusehen. Um zehn Uhr sollte der Festakt anfangen; um neun Uhr wird das Museum aufgesperrt; um zehn vor neun waren wir schon an Ort und Stelle und musterten alle Leute, die entweder vorbeigingen oder auf dem Parkplatz davor aus Taxis oder Autobussen ausstiegen und dem Eingang zustrebten und sich in die davor bildende Warteschlange einreihten. Etwa eine halbe Stunde später erschien Ruschdi und begrüßte uns überschwenglich und bestand darauf, daß wir gleich mit ihm mitkommen sollten. Ich wandte zwar ein, wir hätten gern hier vor dem Museum unsere Myriam abgepaßt, aber das ließ er nicht gelten und meinte, sie würde schon von allein hineinfinden, und wer weiß, wann sie bei dem Verkehrschaos eintreffen werde, und wir könnten ihm drinnen noch ein bißchen bei den letzten Vorbereitungen nützlich sein. Na gut, so gingen wir halt mit ihm hinein und - darin bestand unsere Nützlichkeit - erzählten ihm noch einmal detailliert, wie wir die Grabanlage entdeckt hatten; diese Informationen, so erklärte er, benötige er noch für seine Festansprache. Inzwischen begannen die Festgäste einzutrudeln; ab etwa zehn Uhr wurde es dann feierlich, denn da kamen dann der Reihe nach die hohen Tiere. Aber wo blieb Myriam? Es wurde Viertel elf, halb elf - keine Myriam in Sicht! Warteten wir ihretwegen so lang mit dem Beginn? Ruschdi war jetzt zu beschäftigt, um mit einer solchen Frage belästigt werden zu können. Wir begannen uns nun echt zu beunruhigen, Lydia genauso wie ich.
Und dann ging's auf einmal doch los, und Myriam war noch immer nicht da. Reden wurden geschwungen noch und nöcher, und wir verstanden sowieso kein Wort; aber auch wenn sie in einer uns verständlichen Sprache geschwungen worden wären - Lydia und ich, wir hätten überhaupt nichts mitgekriegt, denn wir schauten immer nur in Richtung Eingang und hätten dem Inhalt der Reden nicht die geringste Beachtung geschenkt. Dann kam Ruschdi plötzlich auf uns zu und holte uns nach vorne, um uns vorzustellen und den neugierigen Blicken der vielen Gaffer auszusetzen, und er fragte uns im Flüsterton, wo denn das Fräulein Girgis sei - er fragte uns, so, als ob wir das eher wissen könnten als er! -, und wir konnten nur mit der Schulter zucken und den Kopf schütteln; so konfus waren wir zu dem Zeitpunkt bereits, und die Vorstellung vor dem erlauchten Publikum verwirrte uns nur noch zusätzlich, und was anschließend geschah, könnte ich jetzt beim besten Willen nicht mehr genau sagen, und Lydia garantiert auch nicht. Ich weiß nur noch, daß, sobald der eigentliche Festakt vorbei war, sich massenhaft Leute auf uns stürzten und auf uns einredeten und daß wir vollkommen daneben standen und zu keiner vernünftigen Reaktion fähig waren. Diese hohen Herren, falls es solche waren, müssen rein gedacht haben, wir seien ein bisserl plemplem, oder wie das halt auf arabisch heißt. Wo war denn eigentlich Ruschdi? Wir entdeckten ihn gar nicht weit von uns - er machte offenbar gerade für alle, die's interessierte, eine Führung durch die Ausstellung. Besonders viel waren's, wie's aussah, eh nicht;
Weitere Kostenlose Bücher