Geliebte Myriam, geliebte Lydia
hatte und das jetzt offensichtlich als Wohnzimmer für die ganze Familie diente. Dort deutete sie uns mit unbewegter Miene, wir mögen's uns bequem machen, und verschwand, ohne mit der Wimper zu zucken, in ihrem eigenen Zimmer; und während sie in dieses hineinging, hörte man aus diesem durch die geöffnete Tür erstens das Quäken ihres süßen Kleinen und zweitens das Plärren eines Fernsehers. Sie zog zwar die Tür hinter sich gleich wieder zu, aber jetzt wußten wir trotzdem, bei welcher Tätigkeit wir sie gestört hatten, daß sie uns so ungnädig empfangen hatte, und welcher Tätigkeit sie weiterhin nachzugehen gedachte. Angeboten hat sie uns jedenfalls nichts.
Das war uns zwar, wie ihr euch sicher denken könnt, reichlich egal, und wir warteten halt geduldig und versuchten uns mit Erinnerungen an Myriam die Zeit zu vertreiben. Wem's aber allem Anschein nach nicht egal war, das war ihr Göttergatte, Myriams Bruder. Der kam ungefähr eine Stunde später polternd heim, begrüßte uns in gebrochenem Englisch und machte anschließend seiner Herzallerliebsten die Hölle heiß, weil wir total auf dem trockenen saßen. Er schickte sie unverzüglich in die Küche, und nach einiger Zeit brachte sie uns duftenden, dampfenden Tee, Zucker und ein paar von diesen durch und durch mit Öl und Zucker getränkten orientalischen Süßigkeiten; hierauf verschwand sie wieder genauso leise und unauffällig, wie sie hereingekommen war.
Nach dem üblichen Blabla am Anfang kam ihr Göttergatte bald zur Sache und fragte uns unverblümt, was uns denn herführe. Na, und so berichteten wir ihm eben von der Ausstellung im Ägyptischen Museum und von der Einladung der ägyptischen Regierung; und davon zeigte er sich gebührend beeindruckt. Und dann kamen wir auf Myriam zu sprechen und schilderten ihm möglichst anschaulich, wie enttäuscht wir gewesen seien, daß sie nicht bei dem Festakt im Museum dabeigewesen sei, obwohl sie bestimmt eingeladen worden sei; und drum wollten wir uns jetzt eben nach ihr erkundigen. Sei ihr die Einladung der ägyptischen Regierung überhaupt nachgeschickt worden? Wir hätten nämlich erfahren, daß diese an Myriams alte Adresse hier geschickt worden sei.
Daraufhin zeigte sich Myriams Bruderherz nicht so sehr beeindruckt als vielmehr peinlich berührt, aber zugleich auch relativ bibelfest. Er machte nämlich mit einemmal ein recht verdrießliches oder vielleicht auch nur gelangweiltes Gesicht und brummte: 'Ich weiß nicht. Bin ich der Hüter meiner Schwester?'
Da blieb uns erst einmal die Spucke weg, meiner Lydia ebenso wie mir, und wir wußten nicht, was wir darauf antworten sollten. Das schien er zu merken, denn er fügte wie zur Entschuldigung hinzu: 'Das steht schon in der Bibel.'
Lydia faßte sich als erste und sagte: 'Ah, Sie sind ebenfalls Christ?' Und nach einer kurzen Pause: 'Ist das die richtige christliche Einstellung?'
Er schaute sie verblüfft an und sagte: 'Sie meinen, gegenüber meiner Schwester? Na klar! Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen so ist, aber bei uns gehört eine Ehefrau in das Haus ihres Ehemanns und sonst nirgendwohin! Übrigens ist Myriam keine Christin mehr!'
'Keine Christin mehr?' fragte Lydia und machte große Augen. 'Ja, was denn sonst?'
'Moslem. Sie ist zum Islam übergetreten, um ihren Herzallerliebsten' (im Originalton: 'sweetheart') 'ehelichen zu können. Was glauben Sie, wie unser Vater darunter gelitten hat und immer noch leidet!'
Zum Islam übergetreten? Mir schwante was, und ich sagte: 'Hat sie vielleicht zufällig einen Moslem aus Heluan geehelicht?'
'Ah, Sie wissen davon?' rief er aus. 'Jawohl, einen Moslem aus Heluan.'
'Einen Pfleger in dem Kurheim, wo Ihre Mutter ...?'
'Genau! Sie sind ja bestens informiert! Ja, ja, dort hat sie ihn kennengelernt. Zuerst wollte sie die längste Zeit nichts von ihm wissen, obwohl er ihr angeblich nach allen Regeln der Kunst den Hof gemacht hat, und dann konnte es ihr auf einmal nicht schnell genug gehen. Da soll sich noch einer auskennen bei den Weibern! Na, jedenfalls weiß sie jetzt, wo sie hingehört!'
'Wie meinen Sie das?' ließ sich jetzt wieder Lydia vernehmen.
'Wie ich das meine? So, wie ich's gesagt habe. Eine Frau gehört in das Haus ihres Ehemanns und sonst nirgendwohin.'
'Meinen Sie damit, daß eine verheiratete Frau ihre Eltern und Geschwister nicht besuchen soll, oder ...?'
'Genau das meine ich, jawohl. Ich wäre auch nicht begeistert, wenn meine Frau ständig in ihrem Elternhaus stecken würde.'
'...
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