Geliebte Myriam, geliebte Lydia
und daß sie sich auch umgekehrt nicht von ihren Eltern und Geschwistern besuchen läßt?'
'Na, was glauben Sie, was ich für eine Freude hätte, wenn ich meine Schwiegereltern und die übrigen Verwandten meiner Frau andauernd im Haus hätte? Die würden sich doch nur überall einmischen und mich kritisieren, und meine Frau wäre zwischen mir und ihren Leuten hin- und hergerissen, und es gäbe nur Streit. Nein, nein! Mir reicht's vollauf, mich mit meinem Vater herumschlagen zu müssen. Und da hält meine Frau wenigstens zu mir.'
Er verstummte in seinem tollen Vortrag, und jetzt meldete ich mich zu Wort und sagte: 'Heißt das, daß Sie Myriam seit ihrer Hochzeit nicht mehr gesehen haben?'
'Weder gesehen noch gehört, jawohl.'
'Na, da kann die Liebe aber nicht so groß sein!'
Da stockte er und wurde plötzlich feuerrot, und es war wunderschön zu beobachten, wie seine bisherige Selbstgefälligkeit dahinschmolz. Schließlich sagte er mit völlig veränderter Stimme, und dabei funkelten seine Augen: 'Welche Liebe denn?'
'Na, die zu Ihrer Schwester natürlich!'
'Wie meinen Sie das?'
'Na, so, wie ich's gesagt habe, eben!' Und als er mich daraufhin nur mehr konsterniert und mit einem unsäglich dummen und zugleich irgendwie lüsternen Gesichtsausdruck anglotzte, wiederholte ich, um ihn auf bessere Gedanken zu bringen, meine ursprüngliche Frage an ihn und sagte: 'Und die Post, die Myriam noch an ihre alte Adresse kriegt - wird ihr die wenigstens nachgeschickt?'
Es war, wie wenn ich ihn aus irgendeinem schönen, vielleicht sogar wollüstigen Traum gerissen hätte - er zuckte zusammen, besann sich eine Sekunde und sagte dann gedehnt: 'Die Post? Hm - was weiß ich? Aber ja, höchstwahrscheinlich schickt Vater ihr die Post nach. Was sollten wir sonst damit anfangen?'
'Naja, ich frage ja nur, weil wir sie heute bei der Eröffnung der Sonderausstellung im Ägyptischen Museum nicht gesehen haben ... weil wir sie schmerzlich vermißt haben - ich hab's ja bereits erwähnt.'
Darauf zuckte er nur mit den Schultern und schwieg eine Zeitlang, und von uns wußte auch keiner mehr was zu sagen. Schließlich wandte er sich mit interessiertem Gesicht zuerst mir und dann Lydia zu und interviewte uns über diese Sonderausstellung, und wir gaben ihm halt, so gut es ging, die gewünschten Auskünfte und hofften im übrigen, daß der Alte in absehbarer Zeit auftauchen würde. Na, wenigstens wurden wir in dieser Hoffnung nicht enttäuscht. Denn auf einmal sprang die Zimmertür auf, und der Alte stand vor uns und riß Augen, Mund und Nase auf. Wir hatten sein Kommen überhaupt nicht gehört. Nun, wir machten's der Zimmertür nach und sprangen augenblicklich auf, und wir fielen ihm zwar nicht um den Hals, obwohl ich dazu echt Lust gehabt hätte - sozusagen ihm als Stellvertreter Myriams -, aber wir schüttelten ihm dafür lang und heftig die Hand, und er muß über unsere ungewohnte Herzlichkeit nicht schlecht gestaunt haben. Schließlich nahm er in unserer Runde Platz, und jetzt begann ich ihm ausführlich zu erzählen - Lydia war ja jetzt zum Schweigen verurteilt, weil sie kein Griechisch spricht - ich begann ihm jetzt also in aller Ausführlichkeit zu erzählen, wieso wir hier seien und wieso wir überhaupt in Kairo seien und was wir heute schon mitgemacht hätten, weil von Myriam nichts zu sehen gewesen sei, und ob ihr die Einladung der ägyptischen Regierung zur Teilnahme an besagter Ausstellungseröffnung auch wirklich nach Heluan nachgeschickt worden sei.
'Oh, garantiert!' antwortete er im Brustton der Überzeugung. 'Ich habe ihr alle Postsendungen nach Heluan nachgeschickt! Ich habe bestimmt keine vergessen! Ich habe ihr eure Briefe aus Österreich nachgeschickt und auch das Schreiben irgendeines Ministeriums! An dieses kann ich mich sogar besonders gut erinnern; ich weiß noch, wie ich mich über den Absender gewundert habe. Also eine Einladung zur Teilnahme an der Eröffnung dieser Ausstellung war's?'
'Ja. Wir beide', und ich zeigte auf Lydia, die stumm und mit großen, glänzenden Augen neben mir saß, 'wir beide haben ebenfalls eine solche Einladung bekommen, und wir haben uns schon so gefreut, bei dieser Gelegenheit die Myriam wiederzusehen, und sind schrecklich enttäuscht, weil sie nicht aufgetaucht ist.'
'Soso, sie ist nicht aufgetaucht!?' murmelte er, und es war nicht recht zu erkennen, ob das ein Ausruf oder eine Frage sein sollte. 'Naja, wahrscheinlich hat's ihr ihr Mann nicht erlaubt. Der hat nämlich eine ziemlich
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