Geliebte Myriam, geliebte Lydia
Ungläubige, nicht wahr, und konnten uns daher an dem herrlichen Wein, der uns serviert wurde, gütlich tun, drittens war inzwischen wohl auch beim letzten die Blase leer, nicht wahr, viertens war's da im Grünen und in der frischen, warmen Luft äußerst gemütlich, fünftens mußte man hier keine Angst haben, mit Steinen beworfen zu werden, und sechstens fehlten der Giftzwerg und seine Alte.
So viel also zum Mittagessen. Unser nächster Besichtigungspunkt waren an und für sich die Pyramiden und die Sphinx von Gisa (oder Gizeh), aber vorher hielten wir noch in einem kleinen Dorf vor einer sogenannten Teppichschule. Teppichschule - was ist das? Na, das ist einfach eine Teppichknüpferei, in der halt ausschließlich Kinder arbeiten. Daß Kinder arbeiten müssen, um Geld zu verdienen, war mir ja nicht mehr völlig fremd; sowas hatte ich schon in anderen Ländern der Dritten Welt erlebt. Aber es schockiert mich halt immer wieder von neuem, den kleinen Haserln zuschauen zu müssen, wie sie sich ihre zarten Finger wund arbeiten - manchmal im wahrsten Sinn des Wortes wund arbeiten - und gleichzeitig ihren Körper und vor allem ihren Geist total verkümmern lassen. Nun, hier versucht man diese himmelschreiende Schweinerei ein bisserl zu beschönigen, indem man die Fabrik Schule nennt und behauptet, die Kinder würden außer Teppichknüpfen auch noch Lesen und Schreiben lernen; aber Beweis für diese Behauptung hab' ich keinen gefunden. Übrigens war offenbar gerade Mittagspause, denn wir überraschten die Kinder genau beim Mittagessen. Und das sah so aus: da war seitlich neben der sogenannten Schule ein betonierter, staubiger Hof, und in dem hockten die Kinder auf dem Boden, also direkt auf dem Beton. Sie saßen jeweils in kleinen Gruppen im Kreis beieinander, und vor ihnen standen auf dem schmutzigen Beton ihre offenbar von daheim mitgebrachten Blechbüchsen, und daraus löffelten sie ihre kärgliche Mahlzeit, und ich hatte den Eindruck, daß sie sich ihr Essen untereinander teilten. Aber dann entdeckte ich dahinter welche, die speisten gar nicht, sondern lungerten nur herum und machten ein reichlich verdrossenes Gesicht; und das waren lauter größere Kinder. Ich fragte Myriam, ob sie eine Ahnung habe, was mit denen los sei und wieso die nichts essen, und sie antwortete, es sei ja Ramadan, und da müßten alle Moslems, die das zwölfte Lebensjahr erreicht hätten, den ganzen Tag über fasten. Natürlich hätten sie Hunger und Durst; drum seien sie vermutlich so verdrossen. Und überdies müßten sie zusehen, wie sich's die Kleinen schmecken lassen, und sich obendrein vom Geruch ihrer Speisen die Nase kitzeln lassen. Das sei doppelt so hart.
Durch uns ließen sich die Kinderlein nicht im geringsten stören, weder beim Essen beziehungsweise Nichtessen noch nachher bei der Arbeit, bei der wir ihnen nach Belieben zuschauen durften. Nur war für die meisten von uns das Studium der fertigen Teppiche weit interessanter, und ich muß zugeben, sie waren wirklich sehr schön. Und wer wollte, konnte den einen oder anderen von diesen schönen Teppichen käuflich erwerben, und angeblich sei das viel billiger als bei uns zu Hause. Naja, ich kenn' mich da ja nicht aus, aber übertrieben billig kamen mir die hier auch nicht vor. Trotzdem konnte ich beobachten, daß eine ganze Reihe von Teppichen gekauft wurden. Na gut. Aber der Clou kommt erst: als nämlich die Kaufwut meiner Leute gestillt war, die Neuerwerbungen fein säuberlich zusammengerollt und eingewickelt wurden und die Brieftaschen gezückt wurden, da schlich sich Myriam plötzlich an mich an und bat mich leise, ihr zu folgen. Sie führte mich in einen Nebenraum, wo ich vom Herrn Oberlehrer oder Direktor, oder wie man ihn halt nennt, mit der allergrößten Freundlichkeit empfangen und aufgefordert wurde, mir aus einer Kollektion kleinformatiger Teppiche einen auszusuchen; das sei ein Geschenk des Hauses für mich als Reiseleiter. Na, da schaute ich erst einmal halbwegs blöd aus der Wäsche, aber dann ließ ich mir das nicht zweimal sagen und suchte mir tatsächlich einen mit einem wunderschönen Baum- und Vogelmuster aus, den man mir auch sofort einpackte und mit überschwenglichen Dankesbezeigungen überreichte. Aber ganz werde ich das schlechte Gewissen, das ich dabei empfand, wohl nie loswerden.
Aber noch eine andere Auswirkung hatte diese Aktion: das Feuer, das zuletzt einen ziemlichen Dämpfer bekommen hatte, brannte auf einmal wieder lustig - ich meine: die
Weitere Kostenlose Bücher