Geliebte Myriam, geliebte Lydia
wie die Sklaven ihren Herren) sollt ihr Frauen euch euren Männern unterordnen ... So gehorchte Sara Abraham und nannte ihn ihren Herrn.“ Und so weiter.
Man sieht also, daß Koran und Neues Testament in diesem Punkt weitgehend übereinstimmen. Schließlich schöpfen ja beide aus den Quellen des Alten Testaments. Jedenfalls ist nicht zu bestreiten, daß beide Offenbarungen dem Mann einen wesentlich höheren gesellschaftlichen Rang als der Frau zuweisen. Wenn also in den christlichen Ländern des Westens ebenso wie in den islamischen Ländern des Ostens etwa seit einem Jahrhundert starke Emanzipationsbestrebungen zugunsten der Frau im Gange sind, so sind sehr wahrscheinlich nicht die beiden Religionen als die auslösenden Faktoren anzunehmen, sondern eher die Nachwirkungen der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, die politischen Bürgerrechtsbewegungen, der allgemeine zivilisatorische Fortschritt und anderes. Daß Christentum und Islam von Anfang an eine Art Führungsrolle in diesem gesellschaftlichen Prozeß übernommen haben, muß füglich bezweifelt werden, zumal sich derartige Bestrebungen ja gelegentlich sogar gegen den christlichen und islamischen religiösen Konservativismus durchzusetzen hatten und haben. In dieser Hinsicht scheinen sich die beiden Bruderreligionen durchaus brüderlich einig zu sein.
Soweit also, meine liebe Großfamilie - so darf ich Sie ab heute nennen - aus dem Vortrag jenes katholischen Theologen. Zu kritisieren wäre daran höchstens die Annahme, in den islamischen Ländern habe die Emanzipationsbewegung gleichen oder auch nur vergleichbaren Erfolg gehabt wie im Westen. Außerdem erwähnt oder berücksichtigt er mit keinem Wort die relativ neue Gegenbewegung des islamischen Fundamentalismus. Und für uns bleibt jetzt nur die Frage, ob diese bedauerliche Abwertung der Frau in Ägypten nun erst durch den Islam oder schon durch das Christentum eingetreten ist. Denn wir wollen nicht vergessen, daß Ägypten im Laufe der Römerzeit zu einem rein christlichen Land geworden war. Nun, wenn man den Worten unseres Vortragenden folgt, so ergibt sich, glaube ich, die Antwort wohl von selbst.'
Ich verstummte und blickte schweigend zur Familie Giftzwerg zurück. Irgendwie war ich neugierig, wie sie diese Schlußfolgerung aufnehmen würden. Die Frau Giftzwerg hatte einen vollkommen undefinierbaren Gesichtsausdruck; aber der Herr Giftzwerg schaute bitterböse drein. Schaute er vielleicht nur deshalb so bitterböse drein, weil er von den anderen vorhin so heftig attackiert worden war? Schwer zu sagen! Aber plötzlich wandte er sich seiner Frau zu und sagte zu ihr mit deutlich hörbarer Stimme - es war nämlich mucksmäuschenstill im Bus -: 'Unerhört, ha?' Sie zuckte zusammen und stammelte, falls ich richtig gehört habe: 'Ha? Was ist?' Daraufhin machte er ihr gegenüber nur eine angewiderte Geste und ein ebensolches Gesicht, warf dann mir einen bitterbösen Blick zu und sagte mit noch lauterer Stimme als zuletzt vor sich hin: 'Unerhört!'
Da mußte ich irgendwie innerlich schmunzeln, und gleichzeitig riß mir der Geduldsfaden, und ich sagte mit einer gewissen Schärfe in der Stimme - das ist nicht zu leugnen -, man möge bitte in Hinkunft unsere geschätzte Führerin bei ihren interessanten Vorträgen nach Möglichkeiten nicht mehr unterbrechen. Und der Erfolg dieser Ansage? Na, was glaubt ihr? Rauschender, nicht enden wollender Applaus natürlich! Und noch was: ein strahlendes - fast hätte ich gesagt: bewunderndes - Lächeln von unserer lieben Lydia. Und noch was: ein noch bitterböserer Blick - kann man so sagen? - also: ein noch böserer Blick - ihr wißt schon, von wem!
Da verzerrten sich dessen Gesichtszüge auf einmal, und das sah toll aus, denn jetzt waren sie gleichzeitig bitterböse und verzerrt oder, sagen wir, verkrampft, und er schrie - jawohl, er schrie jetzt aus Leibeskräften, so daß Machmut ganz schön zusammenzuckte und den Bus direkt ein kleines Stück verriß - er schrie also: 'Bleiben wir denn nicht wieder einmal stehen, zum Kuckuck?'
'Oh, wird ein Fotostopp gewünscht?' erwiderte ich scheinheilig; denn mir war schon klar, daß ihm nicht so sehr nach Fotografieren war, sondern nach was ganz anderem.
'Au ja, einen Fotostopp - in der Wüste!' ließ sich nun Clemens mit großer Begeisterung vernehmen.
'Ich brauch' keinen Fotostopp', schrie Herr Giftzwerg, 'ich brauch' ein Häusl!'
'Hm - das ist aber schwierig, mitten in der Wüste!' gab ich zu bedenken, und zwar, ich muß es
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