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Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
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gesessen wäre und sich von mir über den See hätte rudern lassen. Da beschloß ich, den Stier bei den Hörnern zu packen. 'Mein lieber Herr Schoberbauer', sagte ich in möglichst ruhigem, aber bestimmtem Ton, 'ich muß Sie dringend ersuchen, Ihr Verhalten zu ändern und an die Umstände anzupassen. Bedenken Sie, daß Sie sich in einem orientalischen und islamischen Land befinden und daß zur Zeit eben Ramadan ist! Ein wenig Rücksicht sind Sie nicht nur Ihren Mitreisenden, sondern auch sich selber schuldig, denn auf diese Weise vermiesen Sie ja allen anderen und vor allem sich selber die ganze Reise! Und noch einmal: denken Sie an die Empfindlichkeit der Orientalen und unterbrechen Sie bitte nicht noch einmal unsere Myriam in einer solchen ... naja, beleidigenden Art, ja?'
    Na, und was war der Erfolg meiner Gardinenpredigt und Levitenlesung? Ich hätte mir's denken können: wie ein Rohrspatz fing er zu schimpfen an, und zwar über Myriams Vortrag, und es sei meine verdammte Pflicht, sowas rechtzeitig zu unterbinden, denn das hier sei eine christliche Reise, und darum fahre er hier mit; sonst hätte er ja auch bei irgendeinem beliebigen Reisebüro buchen können. Jetzt erlaubte ich mir, etwas überrascht, darauf hinzuweisen, daß Myriam ja eine Christin sei und daß es meinen energischen Bemühungen zu verdanken sei, daß man uns anstelle des Moslems Salam die Christin Myriam geschickt habe. Ach, was habe man von einer angeblich christlichen Führerin, wenn die derart unchristliche Dinge von sich gebe? Welche unchristlichen Dinge denn? Na bitte, ständig habe sie von Jungfernhäutchen und blutbefleckten Handtüchern geredet und von Prostituierten und Ehebrecherinnen! Seien das Themen einer christlichen Führerin? Das halte doch kein Schwein aus! Aber alle anderen, gab ich zu bedenken, hätten ihren Vortrag sehr interessant gefunden. Alle anderen! höhnte er. Und ganz besonders die Kinder, wie? Ach, die Kinder! sagte ich mit einer wegwerfenden Handbewegung. Die sind doch heute schon längst aufgeklärt!
    'Aber über sowas spricht man als Christ einfach nicht!' schleuderte er mir entrüstet entgegen, und heiliger Zorn stand ihm ins Gesicht geschrieben.
    'Ach, bitte, machen Sie sich doch nicht lächerlich!' gab ich mit erzwungener Ruhe zurück und ging daran, den nächsten Stier bei den Hörnern zu packen. 'Dann hätte ich also auch selber die Auswirkungen des Christentums auf die Stellung der Frau in Ägypten und sonstwo nicht erwähnen dürfen? Ich hab' nämlich genau gehört, was Sie drauf zu Ihrer Frau Gemahlin gesagt haben!'
    'Ja, gut, daß Sie mich daran erinnern!' polterte er von neuem los. 'Was sind denn Sie für ein Christ? Wie können Sie nur solche Sachen über Kirche und Christentum erzählen? Ich bin nur neugierig, was da der Herr Bischof dazu sagen wird!'
    'Ach, der Herr Bischof kann Ihnen da noch ganz andere Sachen erzählen!'
    'Ja, Verleumdungen! Das sind alles nur Verleumdungen! Und selbst wenn es keine Verleumdungen sein sollten, so spricht man als Christ über solche Sachen nicht!'
    Jetzt wurde ich aber trotz meinem Bemühen, ruhig und cool zu bleiben, langsam, aber sicher wild, und, ich geb's zu, mich begann der Hafer zu stechen. 'Soso', begann ich, 'man schweigt sie tot, wie? Aha ... jetzt fange ich an zu begreifen, wieso manche Ewiggestrige und Unbelehrbare behaupten, über die Nazigreuel dürfe man nicht sprechen, diese alten Geschichten solle man nicht aufwärmen!'
    'Soll man auch nicht!'
    'Und warum nicht, wenn ich fragen darf?' Aber ich wartete seine Antwort gar nicht ab. Ich merkte nämlich, daß inzwischen nicht nur die Lydia unserem Dialog zuhörte, sondern sich bereits ein kleiner Kreis andächtiger Zuhörer um uns versammelt hatte, und setzte daher sofort zu einem Minivortrag an. 'Lieber Herr Schoberbauer', erklärte ich, 'Sie wissen ebenso gut wie ich, daß erst kürzlich des 50. Jahrestags der Befreiung der KZ-Häftlinge von Auschwitz gedacht worden ist. Vielleicht haben Sie eines der Interviews mit einem Österreicher gehört, der unter ihnen war. In jedem dieser Interviews hat er betont, wie wichtig es sei, daß man über diese Greuel spricht, denn nur so könne für die Zukunft einer Wiederholung vorgebeugt werden. Das eigentlich Bestürzende daran sei nämlich folgendes: die Täter seien zum überwiegenden Teil keineswegs geborene Schlächter und Sadisten gewesen, sondern Menschen wie du und ich und hätten sich drum weder vorher noch auch nachher irgendwie kriminell hervorgetan,

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