Geliebte Myriam, geliebte Lydia
sondern seien ganz unauffällige Mitglieder der Gesellschaft gewesen. Warum haben sie sich dann in der Nazizeit zu den unvorstellbarsten Greueln hinreißen lassen? Antwort: weil sie in ihrer Jugend von Elternhaus, Schule und Kirche zu Kadavergehorsam und blinder Pflichterfüllung erzogen worden waren. Und so haben sie eben auch in ihrer Funktion als Nazischergen nichts anderes getan als ihre Pflicht erfüllt und unmenschliche Befehle ausgeführt.'
Nun? Hatte ich Herrn Giftzwerg überzeugen können? Na, es sah nicht so aus. Mit einer Miene, die nichts Gutes verhieß, wandte er sich seiner Frau zu, die inzwischen, ohne daß es mir aufgefallen wäre, neben ihm Aufstellung bezogen hatte - aha, also war sie doch nicht ins Klo gefallen! dachte ich noch im stillen bei mir - ihr wandte er sich also zu und zischte: 'Sag, hast du das gehört?' Und sie? Mit ganz unschuldiger Stimme und ebensolcher Miene sagte sie laut und deutlich, so daß es jeder hören konnte: 'Also, ich hab' nie was von Greueln gehört! Und überhaupt sind das für mich die schönsten Jahre meines Lebens gewesen!'
Ich merkte, wie bei mir die Sicherungen durchzubrennen begannen. In dem aussichtslosen Versuch, das Schlimmste zu verhindern, rief ich aus: 'Aber wie können Sie denn sowas sagen? Sie müssen doch bemerkt haben, daß irgendwelche schlimmen Dinge passieren, daß Menschen, die Sie kennen, auf einmal verschwunden sind, und was weiß ich sonst noch! Und es muß Ihnen doch auch aufgefallen sein, daß Krieg ist, und auch, wer diesen Krieg angezettelt hat!'
'Schreien Sie doch nicht so mit mir!' maulte sie. 'Ich hab' nichts Schlimmes bemerkt. Ich war damals beim BDM und hab' eine wunderschöne Zeit verlebt. Es hat Ordnung geherrscht, jeder hat eine Arbeit gehabt, und es hat keine Verbrechen gegeben und keine Skandale ...'
Was sie sonst noch von sich gab, weiß ich nicht mehr, denn inzwischen waren bei mir sämtliche Sicherungen durchgebrannt, und ich begann mit den zweien zu brüllen und zu toben, daß es eine Freude war, nämlich für meine stetig anwachsende Fangemeinde. Was ich dabei alles zu Gehör brachte, daran hab' ich leider keinerlei Erinnerung mehr; ich weiß nur, daß die beiden immer stiller wurden und ihr Gesicht immer länger wurde und daß sie schließlich buchstäblich den Schwanz einzogen und demütig und sanft wie zwei Lämmer davonschlichen.
Einen Moment lang herrschte noch atemlose Stille; dann brach schlagartig ein beispielloses Hallo aus, und sie überboten sich alle gegenseitig im Eifer, mir zu gratulieren und zu versichern, daß diese Abreibung schon längst überfällig gewesen sei. Aber als das mit Abstand Netteste empfand ich den Umstand, daß mir die Lydia auf die Schulter klopfte. Das tat zwar der Götzi auch und noch dazu bedeutend fester, aber bei der Lydia war die Wirkung halt doch viel intensiver. Übrigens: überflüssig zu erwähnen, daß die zwei Giftzwerge nie wieder was zu maulen hatten und sich von Stund' an offensichtlich bemühten, ja nicht wieder unangenehm aufzufallen. Ja, ja! Manche Leute brauchen das eben und geben nicht eher Ruhe, als bis sie vom Reiseleiter eins auf den Deckel gekriegt haben!
8. Teil
Welche Lust gewährt das Reisen!
(SAINT-JUST – BOIELDIEU)
In großer Zufriedenheit und bester Laune fuhren wir anschließend wieder weiter und durchquerten die ganze Oase und machten fleißig Fotostopps und bestaunten das herrlich bukolische Leben und Treiben, das in seiner Einfachheit und Geruhsamkeit so idyllisch wirkte, und sahen den Fellachen beim Pflügen mit dem Holzpflug zu und beim Bewässern ihrer Felder mit altertümlichen Schöpfbrunnen und Wasserrädern und noch häufiger bei beschaulichem Nichtstun und freuten uns über den Anblick der Wasserbüffel, der Kamele, der Eselchen und der schneeweißen Ibissse und bewunderten die phantastisch aussehenden Taubenhäuser; und Myriam erklärte uns, daß es die auch schon in pharaonischer Zeit gegeben habe und daß sie damals schon genauso ausgesehen hätten wie heute. Und nach dieser idyllischen Fahrt durch die große Oase bekamen wir urplötzlich einen ziemlichen Schrecken, als wir auf einmal mehrere Maschinengewehre auf uns gerichtet sahen und Machmut, anstatt Gas zu geben, auf die Bremse stieg und ausgerechnet genau neben besagten Maschinengewehren anhielt. Aber dann erkannten wir zu unserer großen Erleichterung, daß das ja eh nur Polizisten waren, die, mit dem Maschinengewehr im Anschlag, am Straßenrand postiert waren und
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