Geliebte Myriam, geliebte Lydia
alles andere als scheu und ängstlich, und inmitten dieser wilden, tobenden Kinderhorde standen, hilflos und mit allen Anzeichen von Angst und Schrecken, unsere zwei Damen eingekeilt und gestikulierten verzweifelt. Ich hatte, gemeinsam mit Myriam, ganz schön zu tun, um sie vor der Wut der süßen Kleinen zu retten. Wie war das zugegangen? Das brave Mäderl, das auf den Esel aufpaßte, hatte dermaßen ihren Mutter- oder Beschützerinstinkt oder auch ihr Mitleid erregt, daß ihr die eine ein Zuckerl und die andere einen Kugelschreiber in die Hand drückte. Doch ehe sie sich's versahen, waren sie auch schon von dieser Horde tobender Kinder umringt, die alle höchst energisch ihren Anteil an diesen Schätzen forderten und dabei vor Brachialgewalt nicht zurückschreckten. Unerhört! Bei uns wäre ein solches Verhalten kleiner Kinder, glaub' ich, völlig undenkbar. Und wo die so plötzlich aufgetaucht sind, wird uns stets ein Rätsel bleiben. Die müssen rein aus dem Erdboden hervorgewachsen sein.
Das war aber auch die einzige Aufregung während diesem unvorhergesehenen Aufenthalt - fast hätt' ich gesagt: leider. Ansonsten hieß es halt einfach warten. Wie das übrigens bei solchen Bescherungen immer zu sein scheint, sollte die Reparatur ursprünglich nach einer halben Stunde zu Ende sein, aber dann wurde aus der halben Stunde eine ganze, und aus einer ganzen Stunde wurden deren zwei. Aber dann war's auf einmal wirklich so weit, und Machmut lachte wieder und ließ mich zum Entzücken seiner ägyptischen Helfer das bewußte Sprüchlein aufsagen - ihr wißt schon -, und wir stiegen erleichtert ein, und Machmut gab begeistert Gas, so daß der Motor aufheulte und wir von dichten, schwarzen Auspuffwolken eingehüllt wurden - wir hatten nämlich Rückenwind -, und die Fahrt konnte weitergehen. Doch da hörte man plötzlich eine aufgeregte Mädchenstimme schreien: 'Halt! Meine Eltern sind ja nicht da!'
Wer war das? Das war Klein-Barbara, die ausnahmsweise nicht bewundernd zum Clemens aufblickte, sondern aufgesprungen war und mit größter Aufregung durch die fast undurchdringlichen Auspuffwolken in alle Richtungen hinauszuspähen versuchte. Und tatsächlich - die beiden Sitze neben ihr, wo eigentlich ihre Eltern sitzen sollten - die waren leer! 'Ja, wo sind denn deine Eltern, Barbara?'
'Weiß doch ich nicht!' Gerade, daß sie nicht sagte: Bin ich der Hüter meiner Eltern?
'Wann hast du sie denn zum letzten Mal gesehen?'
'Ach, das ist schon lang her! Beim Aussteigen, glaub' ich.'
'Vor zwei Stunden also?'
'Ja, so ungefähr.'
'Und du hast keine Ahnung, wo sie hingegangen sein könnten?'
'Nicht die geringste.'
'Ja, dann ist guter Rat teuer. Dann ist warten alles, was wir tun können.' Ich blickte hilflos zur Myriam nach vor, machte ein langes Gesicht und zuckte mit den Schultern. Daraufhin beugte sie sich zu Machmut und sagte was zu ihm, und er stellte etwas zögernd, so kam mir vor, den Motor ab, so daß man endlich wieder einmal ungestört hinaussehen konnte.
Also wieder warten! Innerhalb meiner lieben Großfamilie verbreitete sich jetzt langsam aber sicher ein gewisser Unmut, und man begann sauer zu werden und die arme Barbara mit vorwurfsvollen Blicken zu durchbohren, und da es ihr verständlicherweise bald zu blöd wurde, pausenlos versichern zu müssen, daß sie wirklich nicht wisse, wo ihre Eltern seien, und es auch nicht wissen könne, stieg sie bald mit dem Clemens zusammen aus und machte sich mit ihm auf die Suche; allerdings warnte ich die beiden eindringlich davor, sich zu weit vom Bus zu entfernen, damit wir nicht, falls ihre Eltern inzwischen auftauchen sollten, dann erst wieder auf sie warten müßten.
Und so verging eine Viertelstunde, es verging eine halbe Stunde, es verging eine Dreiviertelstunde, und der Unmut im Bus wuchs und wuchs, und man hätte sagen können, es brodelte unter der Besatzung, und das Brodeln klang von Minute zu Minute bedrohlicher. Und dann hörte man auf einmal einen schreien: 'Da kommen sie!' Wo? Dort hinten! Ach ja, dort hinten, noch Hunderte Meter entfernt - dort kommen sie über die Felder gerannt und gesprungen, und hie und da winken sie uns zu - sie freuen sich offenkundig, daß wir noch da sind. Und dann sind sie endlich da und klettern hastig in den Bus und sind total verschwitzt, zerrauft und außer Atem, aber sie lachen, und der Herr Schroll ruft: 'Danke, daß ihr gewartet habt!' Aber dann lachen sie nicht mehr, und der Herr Schroll ruft nichts mehr, denn sie scheinen
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