Geliebte Nanny
niemals in der Öffentlichkeit abnehmen dürfe. Nicht einmal in einer reinen Frauengesellschaft.
»Oh, wie Schade«, bedauern sie alle gleichzeitig.
»Dabei haben Sie sicher wunderschönes, schwarzes Haar. Passend zu Ihren dunklen Augen. Hab ich Recht?«, umschmeichelt Mona mich.
»Öhm...ja. Ganz recht, ziemlich schwarz sogar«, betone ich und ziehe mir das Kopftuch noch tiefer in die Stirn, damit mein blonder Haaransatz auf keinen Fall zum Vorschein kommt. Vielleicht sollte ich es zusätzlich in Erwägung ziehen, meine Augenbrauen etwas dunkler nachzuziehen. Nur für alle Fälle.
Allmählich ist es Zeit zu gehen. Pauline gähnt unentwegt und Gerald ist auf einer Sonnenliege eingeschlafen. Ich muss gestehen, es war ein bereichernder Tag, vor allem da ich nun die mehr oder weniger interessanten Lebensgeschichten, den Inhalt der Kleiderschränke und die Anzahl der Schönheitsoperationen jeder Einzelnen auswendig kenne. Jetzt wo ich sie besser kennengelernt habe, finde ich sie sogar nett. Für meinen Geschmack vielleicht ein bisschen zu materiell eingestellt, aber was erwartet man von Frauen, die das Leben sorgenfrei genießen dürfen, während ihre Ehemänner die Millionen scheffeln? Im Grunde sind sie friedliebende Menschen, die üblicherweise keine Vorurteile gegen Fremde wie mich hegen. Diese ganze Feindseligkeit mir gegenüber muss auf Giulias Mist gewachsen sein. Genauso wie damals bei Sarita.
***
Einige unspektakuläre Wochen liegen hinter mir. Die Ferien haben begonnen und ich habe mich ausgiebig mit der Erziehung von Pauline und Gerald beschäftigt. Mein Tagesablauf erstreckt sich über eine endlose Palette von Gesellschaftsspielen, unzähligen Türmen aus Legosteinen und einer unbezwingbaren Menge Knete, die zuerst durch eine Eismaschine gequetscht wird, dann einem glatzköpfigen Plastikschädel als Frisur dient und zum Schluss als Toast mit Schinken und Spiegelei auf einem geblümten Teller landet. Also, zu meiner Zeit, knetete man schlicht und einfach Figuren oder Plätzchen und ich habe jedes Kind beneidet, das dabei Muttis Ausstechformen für Weihnachtskekse benutzen durfte.
Jeden Abend lese ich Gute - Nacht - Geschichten bis zum Abwinken vor und ich bin drauf und dran, Klodia zu bitten, einen Fernseher im Kinderzimmer aufzustellen.
Arndt war zwischenzeitlich auf mehreren Geschäftsreisen, während Klodia täglich haufenweise Terminen nachging und bis spätabends im Wellness - Center arbeitete. Ich persönlich würde ja Saunieren nicht unbedingt als Arbeit bezeichnen. Und wer kann sich schon für eine asiatische Ganzkörpermassage – während der Arbeitszeit – Überstunden eintragen?
Und David..., der gibt sich betont unpersönlich. Denkbar, dass er mir aus dem Weg geht, seit der peinlichen Sache mit der Unterwäsche. Wenn wir uns zufällig im Haus begegnen, dann tut er mit Absicht so, als wäre er wahnsinnig beschäftigt. Und wenn er gerade keine seiner fachlichen Lektüren zur Hand hat, worin er sein Gesicht vergraben kann, dann zückt er hastig sein Handy und täuscht dringende Telefonate vor. Nur einmal war er nicht schnell genug mit seinem Handy, sodass er mich wohl oder übel wahrnehmen musste. Mehr als ein Nicken und ein widerwilliges Hallo hat er aber nicht zu Stande gebracht. Und ein Lächeln schon gar nicht.
Es macht mich halb wahnsinnig, dass er mir keine Beachtung schenkt. Durch seine unzugängliche Art zementiert sich nämlich meine Theorie, dass er mich nicht leiden kann, aber ich verstehe nicht warum. Es ist deprimierend, aber ich muss mich wohl damit abfinden, dass David mich (als Melek) keinen Deut besser behandelt, als die meisten anderen Menschen es tun. Menschen, die mich überhaupt nicht kennen, sich aber aufgrund meines Äußeren herausnehmen, ein Urteil über mich zu bilden und mich dementsprechend feindselig behandeln. Oder ignorieren. Das ist so was von unfair! Mein kleines Erfolgserlebnis beim Sonntags - Picknick schwindet infolgedessen ins Bedeutungslose. Ich hätte nicht geglaubt, dass es so schwer ist anders zu sein, obwohl ich doch nur vorgebe es zu sein.
»Er soll mich gefälligst mit Kopftuch und allem Drum und Dran mögen, oder es ganz bleiben lassen. «
Mein freies Wochenende steht mir bevor. Bedenken plagen mich, dass sich, während meiner Abwesenheit, niemand zuverlässig um Pauline und Gerald kümmern wird. Aber ich brauche dringend ein bisschen freie Zeit, um endlich wieder Melissa zu sein.
Klodias Schwiegereltern aus Oldenburg
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