Geliebte Nanny
den Grund für Yasis flatteriges Gehabe, und kurz darauf entdecke ich ihn auch schon – ihren türkischen Rechtsanwalt. Cengiz. Er steuert auf unseren Tisch zu. Jemand folgt ihm. Vermutlich sein Bekannter. Möglicherweise auch ein Jurist, dem mondänen Anzug nach zu urteilen. Die beiden Männer kommen näher.
O-mein-Gott. Das darf nicht wahr sein! Mein Herz setzt einmal aus, und führt seine nachfolgende Aktivität mit zehnfacher Geschwindigkeit fort. Ein Kolibriherz ist nichts dagegen.
Der Typ im schnieken Anzug ist David von Degenhausen. Er folgt Schmalzlocke und nur Sekunden später steht er an Yasis und meinem Tisch.
Oje, Atemnot!
Beinahe euphorisch begrüßt Yasi ihren Cengiz, der ihr daraufhin seinen Anhang vorstellt. David schüttelt Yasis Hand und lächelt. Das ist der Moment in dem sie endlich kapiert, um wen es sich bei Cengiz’ Begleiter handelt. Sie wird ganz blass und wirft mir einen unauffälligen, aber alarmierenden Blick zu. Ich atme tief durch, da wendet sich Cengiz schon an mich.
»Hallo, du bist Melissa, stimmt’s?« Er schüttelt galant meine Rechte. »Darf ich dir einen guten Freund vorstellen?«
Da tritt auch schon David in mein Blickfeld.
»David, das ist Melissa. Melissa – David.«
›Scheiße! Er wird mich jeden Moment erkennen‹, schwirrt es mir durch den Kopf. Ich zittere wie Espenlaub und warte nur darauf, dass David die Schuppen von den Augen fallen. Aber David reicht mir höflich seine Hand und strahlt mich an, wie ein Honigkuchenpferd. Keine Spur von plötzlicher Erkenntnis in seinen Karamell - Augen.
»Nett, dich kennenzulernen Melissa. Sag mal…, du kommst mir bekannt vor!« Sein forschender Blick gleitet von Kopf bis Fuß über meine äußere Erscheinung und wieder zurück. Mein Atem stockt erneut.
»Du warst vor ein paar Wochen schon mal hier, mit deiner Freundin und ein paar Bekannten, stimmt’s?«
»Äh, ja kann sein«, murmele ich erleichtert.
»Du bist mir damals schon aufgefallen.« Er zwinkert mir zu. Ein charmantes, fast schon forsches Zwinkern. Du wirst doch wohl nicht schwach Mel? Meine Beine sind schon ganz wabbelig.
»Ach wirklich...?«, frage ich mit gespieltem Erstaunen. Nicht, dass mir das damals nicht aufgefallen wäre und mir obendrein ziemlich auf die Nerven ging. Auch wenn er der, mit Abstand, attraktivste Mann im ganzen Club war. Und wie mir scheint löst Davids anziehende Erscheinung auch bei den anderen weiblichen Clubbesuchern wahre Hormonstöße aus. Aber es bleibt mir nicht verborgen, dass er nur Augen für mich hat. Immer wieder fixiert er mich mit Blicken, während ich im Takt zur Musik mitschwinge.
»Willst du tanzen?«, fragt er.
Klar hätte ich Lust zu tanzen. Aber andererseits ist meine Befürchtung, er könnte mich vielleicht doch als Melek enttarnen, wenn wir uns dabei zu nahe kommen, einfach zu groß. Besser ich werde ihn irgendwie los, bevor er was merkt.
Augenblicklich stagnieren meine Tanzbewegungen und ich gebe ihm eine plumpe Antwort: »Sorry, hab heut’ leider keine guten Schuhe zum Tanzen an.«
Cengiz und Yasemin sind mittlerweile in ein bedeutungsvolles Gespräch vertieft und lassen sich von nichts und niemandem stören.
»Kann ich dir vielleicht noch was zu trinken holen?« David hat sich offenbar dazu entschlossen, den ganzen Abend nicht mehr von meiner Seite zu weichen. Er lächelt mich erwartungsvoll an.
»Danke, ich hab noch!«, entgegne ich knapp. Sein hoffnungsvolles Lächeln schwindet allmählich dahin und er wirkt nun eher verlegen. Wir schweigen eine Weile. Gott sei Dank ist die Musik so laut, dass es nicht peinlich ist, nichts zu sagen.
»Coole Musik...«, probiert er es erneut. Dabei versucht er gezielt Augenkontakt mit mir aufzunehmen. Er sieht wirklich verdammt gut aus. Ich nicke kurz und schaue schnell woanders hin. Ich will es lieber nicht riskieren, dass er meine dunklen Augen als die Augen, des türkischen Kindermädchens, Melek, wieder erkennt. Alles in Allem halte ich es für das Sicherste, mich ihm gegenüber reserviert zu verhalten. Unter Umständen könnte er mich sonst an der Stimme oder meiner Sprechweise erkennen.
Schon erstaunlich, dass er nicht bemerkt, dass es sich bei mir – der sexy Blondine – ebenso um die schlecht gekleidete, schüchterne türkische Nanny handelt, die im gleichen Haus wohnt wie er, und die ihm täglich über den Weg läuft; die er aber kaum eines Blickes würdigt. Manchmal sieht man eben den Wald vor lauter Bäumen nicht. Und überhaupt
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